Plurinationales Bolivien, die Rückkehr zur Demokratie in 363 Tagen

Ein Kommentar zum Ausgang der Präsidentenwahl in Bolivien

von Rodrigo Aramayo Mercado und dem ANAWIN-Team

Cochabamba 22.10.2020

traduction française

 

363 Tage sind vergangen seit dem 20. Oktober 2019, dem Datum, an dem die Falschmeldung veröffentlicht wurde, um das Wahlergebnis aufzuheben, das Evo Morales zum vierten Mal zum Präsidenten Boliviens ernannt hätte. In den folgenden 21 Tagen (zwischen Oktober und November 2019) wurde eine tiefgreifende soziologische Konstruktion neu entfacht, die ein vermeintliches Vorrangrecht des weißen und oligarchischen kreolischen Staatsbürgers (des „Menschen“) als alleinigen Eigentümer des Schicksals des Anden-Amazonas-Landes begründet, zum Nachteil des einheimischen bolivianischen Bauern (der als „Barbar“ gilt), der in den letzten 14 Jahren versuchte, eine Charta der Staatsbürgerschaft aufzustellen, und die Kühnheit hatte, sein Recht einzufordern, ein Protagonist beim Aufbau des Staates zu sein.

Diese soziologische Konstruktion, die die nationale Oligarchie (hauptsächlich aus der Provinz Santa Cruz) wiederbelebte, ist seit der Gründung der Republik präsent und ihre Überwindung ist eine der Hauptaufgaben zum Aufbau einer integrativen nationalen Einheit des Andenlandes. Wie René Zabaleta Mercado (bolivianischer Soziologe, Philosoph und Politiker 1937 – 1984) bemerkt, hält der bolivianische Oligarch einen Überlegenheitseid aufrecht, den er niemals verhandeln oder aufgeben wird: „Er kann alles verhandeln, außer den Überlegenheitseid über den Indio. Er wird niemals zulassen, dass der Indio sich als gleichwertig betrachtet. “ Diese Auffassung ist nach wie vor das größte Problem im plurinationalen Staat Bolivien. Das Gefühl derjenigen, die sich in einem Herrschaftsverhältnis überlegen und unterlegen fühlen, zeigte sich auf grobe und krasse Weise in der Regierungszeit der selbsternannten Präsidentin Jeanine Añez: Als erste Maßnahme ihrer Regierung unterzeichnete sie das Dekret 4078, mit dem die Streitkräfte beauftragt wurden, gegen die Bevölkerung auf den Straßen, die bereit war, das von der Bewegung zum Sozialismus (MAS-IPSP) unterstützte Projekt der kulturdemokratischen Transformation zu verteidigen, mit der Erlaubnis zum Töten vorzugehen. Diese Maßnahme führte zu den Massakern von Sacaba/Cochabamba (am 15. November) und Senkata/La Paz (am 19. November) mit einer Bilanz von 37 Toten. Morde, welche die Übergangsregierung als „Prozess zur Befriedung des Landes“ bezeichnete.

Nach den annullierten Wahlen und dem Staatsstreich unter Beteiligung der Polizei und der Streitkräfte im Jahr 2019, kehrten die Bolivianer an diesem Sonntag, dem 18. Oktober 2020, nach fast 14 Jahren Regierungszeit des früheren indigenen Präsidenten Evo Morales (der jetzt aus dem politischen Leben Boliviens verbannt ist) und einer De-facto-Übergangsregierung, die als die katastrophalste in der nationalen Geschichte gilt, zu den Urnen zurück, um ihren Präsidenten zu wählen.

Nach Auszählung von 94% der Stimmen, trotz der unbewiesenen Darstellung von Wahlbetrug und Korruptionsvorwürfen gegen sie und ihre Führer wird deutlich, dass die MAS-IPSP mit mehr als 54,50% der Wahlpräferenzen weiterhin die repräsentativste Partei in Bolivien ist, wobei dieses Ergebnis jede Möglichkeit einer zweiten Runde ausschließt.

Ein mehr als verdienstvolles Ergebnis angesichts des Kontextes, in dem die Volksabstimmung abgehalten wurde. Dies ist nicht zuletzt der Verdienst von Luis Arce Catacora, Präsidentschaftskandidat und David Choquehuanca Céspedes Kandidat für die Vizepräsidentschaft. Ersterer hatte das Wirtschaftsministerium in allen Regierungen von Evo Morales inne, der zweite war Kanzler für denselben Zeitraum.

Luis Arce, Carlos Mesa, Luis Camacho

Bei der Abstimmung belegten die Hauptakteure des Staatsstreichs 2019, der frühere Präsident Carlos Mesa den zweiten Platz mit 29,06% und der ultrarechte Kandidat aus Santa Cruz, Luis Camacho, den 3. Platz mit 14,36%. Die Kandidaten teilten sich die Stimmen des rechten Flügels und der Oligarchie, aber die Ergebnisse machten deutlich, dass sie selbst dann keinen Sieg hätten erzielen können, wenn sie zusammen gegangen wären.

Abgesehen von der Abstimmung, die in erster Linie eine politische Partei unterstützt, hat die Wahlpräferenz, die eindeutig aus der Überzeugung der Bürger hervorgeht, eine offensichtliche Ausrichtung der Unterstützung für einen Veränderungsprozess und eine Periode wirtschaftlicher Stabilität, die auf der Unterstützung der Mittelschicht, der indigenen Völker, der Organisationen und sozialen Bewegungen basiert, welche die „Suma Qamaña“, Good Living, ein neues wirtschaftliches und soziales Paradigma, die Formulierung eines kommunalen Wirtschaftsprojekts, promoviert.

Trotz der Kraft der Wahlergebnisse wird sich der Konflikt, der nach der Unterbrechung des Prozesses der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Transformation des Plurinationalen Staates Bolivien entsteht, mit den Wahlen nicht ändern. Der Prozess für die Konfiguration der Sitze in der gesetzgebenden Versammlung und die soziale und regionale Polarisierung sind schwierig und langwierig. Die Oppositionsparteien, die Oligarchie und die paramilitären Gruppierungen („Cruceño-Jugend“, „Cochala-Widerstand“, „Tempña- Widerstand“ unter anderen), in der faschistisch-rassistischen Logik organisiert, werden weiterhin nach Machtübernahme oder politischer Destabilisierung streben, da sie von transnationalen wirtschaftspolitischen Mächten, Landbesitzern und Bürgerkomitees unterstützt werden.

Ohne Zweidrittelmehrheit in der Plurinationalen Legislativversammlung, die sich aus Abgeordneten- und Senatorenkammer zusammensetzt, wird die neue Regierung es nicht leicht haben, nach Räumen für die Wiederherstellung der Einheit des Landes zu suchen.

Aus zivilgesellschaftlicher Sicht muss diese Wiederherstellung der nationalen Einheit auch eine dringende Aufgabe für politische Führer, Nichtregierungsorganisationen und soziale Aktivisten im Allgemeinen sein. Die integrative und partizipative Demokratie soll auf der Grundlage der Anerkennung der Identität von Person, Kultur und Bevölkerungszugehörigkeit gestärkt werden und authentischer Respekt vor Unterschieden, Stimulierung der passiven sozialen Interaktion durch soziale Eingliederung und politische Führung der Bevölkerung gesichert werden. Dies wird gleichzeitig zur Verbesserung der Lebensbedingungen und volkswirtschaftlichem Wohlstand führen.

 

Etat de Bolivie Plurinational, le retour à la démocratie en 363 jours

Commentaire sur les élections présidentielles en Bolivien

par Rodrigo Aramayo Mercado et l’équipe ANAWIN

Cochabamba 22.10.20

363 jours se sont écoulés depuis le 20 octobre 2019, date à laquelle le récit de la fraude a été imposé pour annuler le résultat de l’élection qui aurait instauré Evo Morales pour la quatrième fois comme président de la Bolivie. Dans les 21 jours qui suivaient (entre octobre et novembre 2019), une profonde construction sociologique a resurgi manifestant un prétendu droit coutumier du citoyen urbain blanc créole et oligarque (« l’humain ») en tant que seul propriétaire de la destination du pays andin-amazonien, au détriment du paysan indigène (considéré comme « le barbare »). Ce dernier a essayé au cours des 14 dernières années de récupérer une charte de citoyenneté et a eu l’audace de revendiquer son droit d’être protagoniste de la construction de l’État. Weiterlesen

Bolivia Plurinacional, la vuelta a la democracia en 363 días

Comentarios sobre la elección presidencial de Rodrigo Aramayo Mercado y equipo de ANAWIN

Cochabamba 22/10/2020

Han transcurrido 363 días desde el 20 de octubre de 2019, fecha en la que se impuso la narrativa del fraude, para anular el resultado electoral que ungiría por cuarta vez a Evo Morales como presidente de Bolivia. En los siguientes 21 días (entre octubre y noviembre 2019) se reavivo una profunda construcción sociológica, que pone de manifestó un supuesto  derecho consuetudinario de primacía del  ciudadano criollo urbano blancoide y oligarca (el humano) como único propietario del destino del país andino-amazónico, en desmedro del boliviano indígena originario campesino (considerado el bárbaro), que en los últimos 14 años intentó cobrar carta de  ciudadanía y tuvo la osadía de reclamar su derecho a ser protagonista de la construcción del Estado. Weiterlesen