„BUEN VIVIR en la COMUNIDAD DE TIRANI“
Gut leben in der Gemeinde Tirani
Schon im Titel ist die Zielsetzung dieses neuen Projektes formuliert: Gut leben, ein Recht das eigentlich jedem zustehen sollte. Das Konzept des «Buen Vivir» wurde 2009 in die bolivianische Verfassung aufgenommen und Niños de la Tierra wollte sich dieser nationalen Zielsetzung in Tirani, einer kleinen Randgemeinde von Cochabamba, anschließen. «Buen vivir en la comunidad de Tirani» ist das 5-jährige Folgeprojekt (2014-2018) von Ch’askalla (Sternchen, 2010 – 2013), der Errichtung eines Kindergartens mit Ausbildung von Erzieherinnen und einer intensiven Elternarbeit. Mit diesem Kindergarten hat Niños de la Tierra sozusagen die Ausgangsbasis der Entwicklungsarbeit in Tirani gelegt. Vor Ort ist die Fundación Cristo Vive Bolivia, unter der Präsidentschaft von Schwester Karoline, ein tatkräftiger und verlässlicher Partner.
Die diagnostische Forschung und die praktische Arbeit mit der Gemeinde ab 2007 haben es erlaubt, die schwerwiegenden Probleme der Gemeinde genauer zu verstehen. Diese sind bei den Menschen über 25 Jahren (Elterngeneration) bereits tief verwurzelt und beeinflussen sehr stark die Möglichkeiten der Kinder und Jugendlichen, ihre Potenziale zu entwickeln und Chancen für ihr Leben wahrnehmen zu können.
Im Rahmen des Kindergarten Ch´askalla konnte erreicht werden, dass insgesamt 100 Mädchen und Jungen zwischen 7 Monaten und 5 Jahren nun mehr Aufmerksamkeit, Frühförderung, Erziehung und Schulvorbereitung, angemessene Ernährung und die Beobachtung ihres körperlichen und psychologischen Wohlergehens genießen. Die erhobenen Daten zeigen relevante Auswirkungen in der Nivellierung von Unterernährung und Entwicklungsverzögerungen, die anfangs diagnostiziert wurden.
Die Rückmeldungen der Lehrer der örtlichen Grundschule über die Kinder, die aus dem Kindergarten Ch´askalla in die Vorschule wechseln, sind inzwischen durchweg positiv. Sie bestätigen, dass diese Kinder sehr viel selbständiger sind als ihre Altersgenossen.
Mit Unterstützung staatlicher Gesundheitszentren konnte der Ernährungs- und Gesundheitsstatus vieler Kinder verbessert werden: Kontrollen des Ernährungsstatus, Ernährungszusätze, Parasitenbehandlungen und Impfungen. In Hinblick auf die Hygiene wird von den Erzieherinnen und Freiwilligen darauf hingearbeitet, dass die Kinder die Gewohnheit entwickeln, sich die Zähne zu putzen, die Hände vor dem Essen zu waschen, sich die Nase zu putzen, Müll im Abfalleimer zu entsorgen und bei Sauberkeit und Ordnung aktiv mitzuwirken. Häufig fehlt in den Familien jedoch die notwendige Unterstützung, um diese Gewohnheiten zuhause weiterzuführen.
Insbesondere durch die soziale Kontrolle der am Kindergarten teilnehmenden Eltern untereinander konnte ein positiver Effekt in rund 40% der Familien im Hinblick auf elterliches Verantwortungsbewusstsein und die Problematik des Alkoholismus erreicht werden. Es konnte auch das Bewusstsein für ein Familienleben geweckt werden, in dem die Verantwortung für die Kindererziehung von beiden Partnern gemeinsam übernommen wird. So überwanden z.B. einige Väter ihren machistischen Stolz und begannen, die Kinder selber zum Kindergarten zu bringen oder sie abzuholen. Es lässt sich auch eine aktivere Teilnahme einiger Väter an Elternabenden und Workshops beobachten. Dennoch ist der Weg noch weit.
Die Familienplanung, die sexuelle und reproduktive Gesundheit, die als Paar wahrgenommen werden sollte, wird noch nicht als eine Form des sich gegenseitig Behütens verstanden, sondern als ein Recht der Männer, über die Zahl der Kinder und den Moment und die Umstände der Zeugung zu entscheiden. Viele Frauen akzeptieren den Wunsch ihrer Partner, acht oder mehr Kinder zu haben, weil sie Angst haben, verlassen zu werden. Dabei sind sie sich wohl bewusst, dass sie ihren Kindern keine angemessenen Lebensbedingungen werden bieten können und nehmen die Risiken in Kauf, denen sie durch die häufigen Geburten und die fehlende gynäkologische Betreuung ausgesetzt sind.
Wegen ihres niedrigen Bildungsniveaus haben viele Erwachsene wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig haben sie kaum Möglichkeiten, Strategien zu entwickeln, die es ihnen erlauben, die ihnen zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen optimal zu nutzen: Ackerland und Bewässerung sowie das Netzwerk der Gemeinde.
Auf der Grundlage der Erfahrungen aller Beteiligten in der ersten Projektphase sind wir zu der Schlussfolgerung gekommen, dass eine noch stärkere Einbindung der Eltern und der Gemeinde notwendig sind, um die erwünschten Veränderungen in Tirani erreichen zu können.
Die Vorschläge für das neue Projekt sind in einem partizipativen Prozess entstanden. Besonders die Weiterentwicklung des Kindergartens wurde mit dem Team der Erzieher und den Eltern geplant. Viele Familien bekunden ihr Interesse an der Gründung einer Elternschule. Auch sind sie an Aktivitäten interessiert, welche ihnen ein regelmäßiges Einkommen auf der Basis von typischen Produkten der Zone ermöglichen z.B. Optimierung des Blumenanbaus.
Ziel des Projektes ist es, die Lebensqualität der Gemeinde Tirani zu verbessern, indem Chancen durch Gesundheitsförderung und Weiterbildung der Familien geschaffen werden.
Schwerpunkte der Arbeit sind:
1. Frühförderung der Kinder:
Vorrangig gilt es, die Qualität und menschliche Wärme der Arbeit im Kindergarten Ch´askalla beizubehalten und weiter zu verstärken, das Team zu festigen und zu erweitern, eine finanzielle Nachhaltigkeit der Arbeit auf lange Sicht zu erreichen und die Wirkungen des Vorhabens auf die Qualität der Erziehung in der örtlichen Vorschule auszudehnen.
2. Lebenslanges Lernen:
Dieser Arbeitsbereich will Mütter und Väter intensiver einbeziehen, um Veränderungen in der ganzen Gemeinde zu erzielen. Es soll Orientierung und Weiterbildung angeboten werden, die auf spezifische Interessen und Problematiken der Familien in Tirani eingehen z.B. Alphabetisierung, Suchtüberwindung, Rechte auf dem Arbeitsmarkt, Orientierung und Fortbildung sowie Initiativen, um das Einkommen der Familien zu verbessern.
3. Familien- und Gemeindegesundheit:
Die dritte Säule des Projekts sieht vor, das Potenzial der „Posta medica“, des Gesundheitszentrums von Tirani zu verbessern. Dies liegt seit ihrem Bau durch die Gemeindeverwaltung ziemlich brach. Hier soll eine nahe gelegene und den Bedürfnissen angepasste Gesundheitsversorgung erzielt werden, insbesondere Gesundheitsförderung, Prävention und Familienplanung.
Unser vorheriges Projekt war hauptsächlich auf das Wohlergehen der Kinder ausgerichtet. Die Familien, die Mütter und Väter waren nur indirekte Zielgruppen. Durch die Kinderbetreuung wurde den Frauen eine Erwerbsarbeit ermöglicht, wodurch die ganze Familie ihren Lebensstandard verbessern konnte. In Zukunft werden die Familien direkte Zielgruppe sein, insbesondere durch die Aktivierung der Gesundheitsstation, der Bildungsprozesse in der „Elternschule“ und durch die Förderung Einkommen schaffender Initiativen.
Das Projekt wird überwiegend von Menschen vorangebracht, die aus der Gemeinde Tirani stammen und dort verwurzelt sind, was die soziale Stabilität des Projektes sehr positiv beeinflusst. Die ausdauernde, zuverlässige Arbeit mit den Kindern und ihren Familien hat zu einem großen Vertrauensgewinn geführt, der sich unter anderem in der hohen Nachfrage nach Kindergartenplätzen widerspiegelt sowie in der zunehmenden Beteiligung von Müttern und Vätern an gemeinsamen Aktivitäten. Auch dies ist eine gute Voraus-setzung dafür, dass das Projekt langfristig tragfähig ist.
Das Projekt „BUEN VIVIR en la COMUNIDAD TIRANI“ zielt darauf ab, für eine neue Generation von heranwachsenden Kindern den Kreislauf der Vererbung von Armut zu unterbrechen. Dadurch werden auch für die nächsten Generationen veränderte Ausgangsbedingungen geschaffen.
Marco Hoffmann