Die Hoffnung hat zwei schöne Töchter:
Die Wut darüber, wie die Dinge sind
und den Mut, sie zu verändern.
Augustinus
Der World Food Report der UNO zeigt auf, dass die Weltlandwirtschaft heute die Möglichkeit hat, 12 Milliarden Menschen zu ernähren, das heißt quasi das Doppelte der aktuellen Weltbevölkerung. Dennoch sterben jährlich 10 Millionen Menschen an Hunger und eine Milliarde Menschen sind lebenslang chronisch unterernährt.
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist das Recht auf Nahrung verankert. Müsste also das Recht auf Nahrung für jeden nicht zur obersten Priorität der Weltpolitik erklärt werden?
Hunger und Armut, die zusammengehören, haben viele Ursachen: eine ungerechte Weltordnung, Kriege, extreme klimatische und geographische Bedingungen, mangelndes Know-how, Wassermangel, schlechte Verwaltung, die komplette Liste ist lang. An oberster Stelle aller Ursachen steht jedoch die Profitgier und die Unfähigkeit oder Weigerung der Staaten, Spekulation und Profite einzuschränken sowie Korruption zu bekämpfen. Global steht genug Nahrung zur Verfügung, ihre Verteilung ist jedoch das Problem.
Experten zufolge, wie dem Schweizer Soziologen Jean Ziegler, werden 85% aller gehandelten Nahrungsmittel von 10 multinationalen Konzernen kontrolliert. Es handelt sich vor allem um die Grundnahrungsmittel Reis, Mais und Weizen. Diese Konzerne verfolgen keine noblen Gemeinwohlziele, deren Ziel ist allein die Profitmaximierung. Ihre Macht und ihr Einfluss sind enorm und ihre Interessen stehen, so Jean Ziegler, “über dem Recht auf Nahrung”.
In den letzten Jahren haben sich die Aktivitäten der Großbanken auf die Rohstoffbörsen konzentriert, vor allem auf die Agrarprodukte. Dabei wurden in voller “Legalität” riesige Profite gemacht. Die Spekulation auf Grundnahrungsmitteln ist ein Skandal, da für die Ärmsten der Welt die Verteuerung dieser Nahrungsmittel eine Katastrophe ist. Laut Weltbank leben global 1,2 Milliarden Menschen am Existenzminimum, mit weniger als einem Dollar pro Tag! Wie können diese Menschen überleben, wenn die Lebensmittelpreise unbezahlbar werden?
Seit ein paar Jahren werden für die Herstellung von Agrar-Treibstoff gewaltige Flächen mit Mais und Getreide angebaut um Biomethanol und Biodiesel herzustellen. 2011 wurden laut Jean Ziegler in den USA 138 Millionen Tonnen Nahrungsmittel zu diesem Zweck verbrannt. Tendenz steigend. Dies ist unerträglich, angesichts der hungernden Menschheit. Auch wenn die Absicht, das Klima zu schützen und sich unabhängiger von fossilen Brennstoffen zu machen, an sich verständlich ist. Der Kampf gegen Hunger und Armut müsste parallel und mit oberster Priorität geführt werden.
Ein weiterer “moderner” Mechanismus, der die Hungerproblematik verstärkt, anstatt sie zu bekämpfen ist das “landgrabbing” von dem vor allem überschuldete afrikanische Länder betroffen sind. Diese Staaten verfügen als reine Agrarstaaten mit wenig Infrastruktur und Know-how in der Landwirtschaft über sehr niedrige Einkünfte. Geld fehlt für wichtige Investitionen, für Bewässerung, Ausbildung und neue Agrartechnik, die notwendig wären, um die Produktivität der kleinbäuerlichen Betriebe zu verbessern. Diese Staaten geraten immer mehr in die Schuldenfalle. Die hohe Verschuldung bewirkt, dass ihnen neue Subventionen anderer Staaten verwehrt bleiben. Öffentliche Finanzinstitute, unter anderem die Weltbank, lassen ihnen fast keine andere Möglichkeit als ausländischen Investoren Land zu überschreiben, um ihre Schulden abzubauen. Diese verfügen über das notwendige Kapital, um Nahrungsmittel für den Export zu produzieren und zu vermarkten. Das trägt jedoch nicht zur Verbesserung der Versorgung der einheimischen Bevölkerung bei.
Lässt diese verhängnisvolle Entwicklung sich noch bremsen? Angesichts der relativen Untätigkeit der politisch Verantwortlichen, sowie des Desinteresses vieler Menschen in den “entwickelten” Ländern, könnte man daran zweifeln.
Was sind unsere individuellen Handlungsmöglichkeiten, wie können wir hier und jetzt verantwortlich handeln, um Hunger und Armut zu bekämpfen?
Je mehr Leute gemeinsam ein Ziel verfolgen, desto wirksamer können sie handeln. Es gilt Druck auf politische Parteien auszuüben und Bewegungen zu unterstützen, die durch eine Mobilisierung der Zivilgesellschaft entstanden sind.
Viele Menschen fangen an, ihre Kaufgewohnheiten zu verändern, ein wichtiges Druckmittel auf die Produzenten und Händler. Sie legen Wert auf fair gehandelte Produkte, die durch faire Preise die Existenz vieler Kleinbauern sichern. Sie kaufen regional erzeugtes und saisonales Obst und Gemüse und achten auf den Schutz der natürlichen Ressourcen. Viele reduzieren ihren Fleischkonsum, nicht nur um gegen Massentierhaltung zu protestieren, sondern wegen der negativen Auswirkungen der Fleischproduktion. Ein Viertel der Weltgetreideernte wird in die Massentierhaltung investiert. Dieses Getreide könnte viel mehr Menschen ernähren, als das Fleisch, das damit erzeugt wird.
Es wäre im Sinne der Kleinbauern in Entwicklungsländern, wenn die Verbraucher den Kauf gentechnisch manipulierter Nahrungsmittel verweigern würden. Der Anbau dieser Nahrungsmittel führt in jenen Ländern zu einer finanziellen Abhängigkeit der Bauern von den Saatgutproduzenten, vor allem von einem weltweit agierenden Großkonzern. Die betroffenen Saaten führen zwar zu höheren Ernten, bringen jedoch keine eigenen Saaten hervor. Diese müssen mehrmals im Jahr gekauft werden, gleichzeitig mit teuren Düngemitteln. Dieser Teufelskreis hat schon viele Bauern in den Ruin getrieben.
Viele Organisationen leisten wichtige Arbeit im Kampf gegen Armut. Sie brauchen finanzielle Unterstützung zur Verwirklichung ihrer Projekte im Bereich Entwicklungszusammenarbeit.
Je mehr Menschen sich für einen nachhaltigen Lebensstil entscheiden und sich der sozialen und ökologischen Nebeneffekte ihrer Kaufgewohnheiten bewusst werden und auf diese Weise Verantwortung übernehmen, desto größer wird der Impakt auf den Handel mit Konsumgütern, insbesondere mit Nahrungsmitteln sein.
Die Entscheidungsträger von heute sind gefordert, die post-2015 Entwicklungsagenda ernst zu nehmen, um die Ziele der nachhaltigen Bekämpfung der Armut und des Schutzes der natürlichen Umwelt zu erreichen.
Yvette Schweich-Lux