Nahrungssicherheit für Mapuche Kleinbauern

“Wer weiß schon, dass Hunderte von Millionen kleinbäuerlicher Familien, die das Gros der hungernden Massen bilden, durchschnittlich nur ein bis zwei Hektar oder noch weniger Boden bebauen…?”

“Die Strategien, mit denen sich Hunger und Mangelernährung eindämmen lassen, sind komplex und müssen der Vielfalt der Bewirtschaftungsformen und der Verhältnisse im jeweiligen Land angepasst sein. Bei allen Unterschieden stellt sich jedoch in zahlreichen Entwicklungsländern die entscheidende Frage nach einer Agrarreform und dem Zugang zu Boden. Beides bildet eine Voraussetzung für jede erneute Ausweitung der Agrarproduktion und jede substantielle Verringerung von Armut “

“Nationale wie internationale Finanzierungen müssen dazu beitragen,die ländlichen Infrastrukturen zu verbessern und den Bauern Zugang zu Rohstoffen, Krediten und Know-how zu erleichtern”

Aus “Mordshunger” von Jean Feyder

 

Ende März waren wir zu Besuch in den Mapuche Gemeinschaften José Carvajal und Francisco Huentro Painemil in Chile. Dies sind zwei von vier Gemeinschaften aus der Gemeinde Freire, die zurzeit mit unserer Partnerorganisation Fundecam ein Entwicklungsprogramm durchführen. Finanziert wird das Projekt von “Niños de la Tierra”. Drei Jahre lang soll den vier Gemeinschaften zu größerer Nahrungssicherheit verholfen werden. Auch die Ausbildung der Verantwortlichen und die Stärkung der Organisationen sind notwendig für ihre Weiterentwicklung.

350 Menschen sind von dem Projekt betroffen. Sie leben in großer Armut. In der Vergangenheit mussten sie ohne Hilfestellung der öffentlichen Instanzen auskommen. Ihre Armut hängt eng mit dem Landmangel zusammen. Für Viehzucht und Ackerbau besitzen sie als Kleinbauern nur 1 bis 1,5 Hektar pro Familie. Einst verfügten sie, die Ureinwohner Chiles, über große Landflächen. Enteignet wurden sie zuerst von den Spaniern und zuletzt unter Pinochet.

Mitglieder der Gemeinschaft José Carvajal

Mitglieder der Gemeinschaft José Carvajal

Es ist schwer, vom Ertrag solch kleiner Flächen zu leben. Eine optimale Bewirtschaftung ist unerlässlich, um die Nahrungssicherheit in etwa zu gewährleisten. Unser Partner Fundecam bietet den Gemeinschaften Kurse an über Bodenbearbeitung, Fruchtfolge, Produktion von organischem Dünger, geeignete Pflanzen, Konservierung von Nahrungsmitteln und den Umgang mit Wasser. Denn Wassermangel wird immer mehr zum großen Problem. Pflanzen, die viel Wasser benötigen, werden nicht mehr angebaut. 500 l Trinkwasser pro Familie werden einmal die Woche von der Gemeinde geliefert und in einem Fass aufbewahrt.

Weil die betroffenen Familien kaum über eigenes Einkommen verfügen, sind im Projekt soziale Kredite vorgesehen, um kleine aber wichtige Investitionen in der kleinbäuerlichen Produktion zu ermöglichen. Es handelt sich um “Mikrokredite”, die zur Hälfte von den Familien zurückbezahlt werden. Verwaltet werden die Kredite von der Leitung der Gemeinschaften unter der Kontrolle unserer Partnerorganisation vor Ort. Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Selbstverwaltung auf sehr verantwortliche Weise durchgeführt wird. Dieses Vorgehen lehrt die indigenen Familien, mit Geld umzugehen, drückt Vertrauen aus und respektiert ihre Würde. 10.000.-€ sind pro Jahr für diesen Rotationsfonds im Projekt vorgesehen. Das Geld bleibt den Gemeinschaften erhalten, bis es ganz aufgebraucht ist.

Wie nutzen die Familien diese Kredite? Die meisten kaufen zuerst Draht, um ihre Gärten zu umzäunen, damit das Gemüse nicht von den Tieren gefressen wird. Sie umzäunen ihre Wiesen, so dass die Tiere nicht weglaufen können. Sie kaufen Zinkblech und Holz, um kleine Ställe und Scheunen zu bauen, Plastikfolie für Gewächshäuser, sowie geeignetes Saatgut und Tiere zum Züchten, hauptsächlich Hühner, Schafe und Schweine. Diese sind eine wichtige Nahrungsquelle, verbrauchen wenig und bringen beim Verkauf etwas Geld.

Südamerika 2013 (35)

Schwein& serre

Hier geht es wirklich um Grundbedürfnisse!

Parallel zu den Maßnahmen im Bereich Nahrungssicherheit werden die Verantwortlichen der Gemeinschaften ausgebildet. Sie lernen die Bestimmungen der indigenen Gesetzgebung kennen, damit sie ihre Rechte besser in Anspruch nehmen können. Den “dirigentes” wird in den Kursen aufgezeigt, wie sie sich besser organisieren und sich gegebenenfalls mit andern Gemeinschaften vernetzen und austauschen können. Gemeinsam handeln, macht stärker. Die Verantwortlichen lernen, wie man Projekte entwirft und formuliert. So können sie Fördergelder beantragen von der Gemeinde, der Region und vom Staat.

Die Gemeinschaft José Carvajal hat noch weit größere Probleme zu lösen. Von den etwa 100 Mitgliedern sind 25 von einer erblichen Augenkrankheit betroffen, die im Alter von 15 bis 25 Jahren zur Erblindung führt. David Carvajal, der Verantwortliche der Gemeinschaft, ist selbst blind. Zwei Jahre wartet er schon auf eine Augenoperation im öffentlichen Gesundheitssystem.

Roberto Mansilla im Gespräch mit David Carvajal, dem blinden Dirigente der Communidad José Carvajal

Roberto Mansilla im Gespräch mit David Carvajal, dem blinden Dirigente der Communidad José Carvajal

Am Anfang reagierte die Gemeinschaft mit großer Skepsis auf das Angebot zur Unterstützung. Bisher wurde ihnen jede Hilfe verwehrt. Wir haben im Projekt eine Begleitung von vier Stunden pro Woche vorgesehen für alle, die an der Augenkrankheit leiden. Diese Begleitung soll jede mögliche Hilfestellung geben, um die Behandlung und die Unterstützung zu organisieren. Bei unserm Besuch konnten wir feststellen, dass diese wichtige Hilfestellung zurzeit noch nicht ausreichend ist. 53 Besuche bei einem privaten Augenarzt wurden in kürzester Zeit durchgeführt, Brillen für die Kinder müssen gekauft werden. Weitere Maßnahmen sind erforderlich. Die Begleitung wurde einstweilen verstärkt und wir hoffen auf gezielte Spenden, um auf diese Problematik zu antworten.

Um nachhaltig aus der Armutsfalle auszubrechen und die Nahrungssicherheit (food security) hin zur Ernährungssicherheit (nutrition security) zu verbessern, müssten Lösungen erarbeitet und finanziert werden, die den Gemeinschaften ausreichenden Zugang zu Wasser und die Anschaffung von zusätzlichem Land ermöglichen.

Yvette Schweich-Lux

Fotos : Yvette Schweich-Lux