I am waiting for the happiness

Es ist Dezember und der Winter bringt die Kälte, aber nicht nur der Winter … Krisen und Kriege torpedieren unsere Offenherzigkeit, unsere Gastfreundschaft und unsere Solidarität. In verschiedensten Formen und Ausprägungen ziehen wir uns egoistisch auf uns zurück, schließen Augen und Ohren, verlieren das Vertrauen in die Zukunft, sehen den Mitmenschen als Feind, delegieren die Lösung aller Probleme an die Regierung und hoffen darauf, dass uns unser Reichtum erhalten bleibt und darauf, dass der nächste Sommer kommt, sowieso.

Allerdings wird es schwieriger wegzusehen!

Kriege finden mittlerweile vor unserer Haustür statt und die Zahl der Flüchtlinge steigt. Hinzu kommt, dass der Umgang mit Flüchtlingen zusehends inhumaner wird.

Anne Speltz, allerdings, hat hingeschaut. Respekt!! Sie hat ihr Freiwilligenjahr von August 2015 bis Juli 2016 bei der Fundación Cristo Vive Bolivia im Projekt „Centro Infantil & Apoyo Escolar“ in Chokaya/Cochabamba geleistet. Heute ist sie Fotografin. Als künstlerischen Auftakt für ein breiteres Publikum wartete sie mit der Fotoausstellung „I am waiting for the happiness“ im CAPE Ettelbrück (28/9/23-17/10/23) auf. Anhand von Portraits und Momentaufnahmen erzählt sie die Geschichte von Menschen auf der Flucht außerhalb der offiziellen Lager oder nach der Auflösung der Camps, wie der sogenannte „Dschungel von Calais“. Auch in Griechenland und Bosnien dokumentiert sie – zum Teil abstrakt – die Lebensumstände der Gestrandeten. Einer der Portraitierten sagt: „Mein Traum ist es, wie ein Mensch zu leben.“ Diese Aussage steht für alle die arm und ausgeschlossen sind, d.h. die Hälfte der Menschheit (Club of Rome) …

  • Soziale Ungleichheit ist ein unterbelichtetes Thema.                                          Die Armutsrisikorate (fast 20% in Luxemburg) mag noch bekannt sein, aber über unmäßigen Reichtum wird noch weniger gesprochen. In Luxemburg leben 46.200 Millionäre (2022, Capgemini-Studie) und 2014 wurden 17 Milliardäre gezählt (Tageblatt), darunter unser Großherzog (https://www.virgule.lu/luxembourg/le-grand-duc-henri-a-la-tete-de-3-55-milliards-d-euros/337527.html#). Ihr Gesamtvermögen beläuft sich auf 61 Milliarden Dollar (47 Milliarden Euro). Jeder fünfzehnte Einwohner in Luxemburg ist Millionär, was einem Zuwachs von 7,9 Prozent im Jahre 2022 entspricht. Die Vermögen stiegen dabei um 8,8 Prozent auf 137,6 Milliarden US-Dollar an, wie Paperjam (https://paperjam.lu/article/46-200-millionnaires-au-luxemb) Durchschnittlich verfügen Luxemburger Millionäre damit über ein Vermögen von 2,98 Millionen Dollar. Sagen wir, um die Rechnung einfach zu machen, dass wir hier über rund 150 Milliarden Euro reden. Stellen Sie sich vor diese reichen Leute würden nur 1% ihres Vermögens spenden, … 1,5 Milliarden Euro!! Zum Vergleich: Mit 1% des Bruttonationaleinkommens (rund 400 Millionen €) für die Entwicklungshilfe gehört Luxemburg zu den fünf entwickelten Volkswirtschaften mit den größten Anstrengungen in diesem Bereich. Es geht hier nicht darum, die Superreichen zur Kasse zu bitten. Vielmehr muss das System in Frage gestellt werden, welches extremen Reichtum zulässt und gleichzeitig vielen Menschen Grund- und Menschenrechte abspricht. An die Stelle von sozialer Ungleichheit muss soziale Gerechtigkeit treten.
  • Die Symptome des Klimawandels werden spürbar.                                        Der EU-Klimawandeldienst Copernicus bezeichnet 2023 als wärmstes Jahr seit 125 000 Jahren … Direkte Folgen sind z.B.: zunehmend stärkere Wirbelstürme, Überschwemmungen, Verbreitung gefährlicher Krankheitserreger, Dürren und Waldbrände, Anstieg des Meeresspiegels und Zerstörung der Artenvielfalt. Heute schon herrschen in mehreren Ländern wegen der Erderwärmung extreme Ernährungsunsicherheit und Süßwasserknappheit, die Menschen zur Flucht zwingen. So trägt auch der Klimawandel, neben Armut und Krieg, zu den aktuellen Flüchtlingsströmen bei. Diffuse Hoffnungen setzen wir in technische Lösungen … Wir investieren in künstliche Intelligenz, aber was tun wir gegen die natürliche Dummheit? – Doch seien wir nicht so streng. Langsame Veränderungen sind schwer zu erkennen. Sie kennen die Geschichte des Frosches der im langsam sich aufwärmenden Wasser sitzen bleibt und schlussendlich nicht mehr herauskommt. Beim Sprung in heißes Wasser hätte er sofort das Weite gesucht … Eigentlich müsste der Mensch doch klüger sein, oder? Exponentielle Entwicklungen wie z.B. der Kollaps des Golfstroms (https://www.nature.com/articles/s41467-023-39810-w) sind aber leider kontraintuitiv. Die Annäherung an den Kipppunkt ist zum Schluss sehr schnell und dann ist es zu spät.

 

Was tun? Was kann ich schon machen?

 

Ich denke, anschließend an die vorhergehenden Abschnitte, wäre ein erster Schritt nicht mehr wegzusehen und wie Stephane Hessel schon 2010 meinte: „Empört euch!“ Wenn wir in Gleichgültigkeit, Resignation und Tatenlosigkeit verharren, naht der Abgrund zusehends schneller. Sicher, Zerstörung geschieht schneller als Aufbau und das kann entmutigen. Aber gerade an Weihnachten, dem Fest der Hoffnung, sollten wir die Hände nicht in den Schoß legen. Hier ein paar Ideen:

  • Setzen Sie sich mit den großen Herausforderungen unserer Zeit auseinander!
  • Denken Sie nachhaltig und konsumieren Sie sparsam!
  • Verbrauchen Sie weniger Ressourcen!
  • Unterstützen Sie gute Projekte mit Ihren Spenden und leben Sie die Solidarität im Alltag!
  • Konzentrieren Sie sich auf das Wichtige im LEBEN!

 

Was ist wichtig im Leben?

 

Zu dieser Frage hat mir folgende Geschichte von Heinrich Böll gut gefallen: Wir befinden uns in einer kleinen Hafenstadt Europas; die Nachmittagssonne taucht Kräne, Boote und Masten in ein warmes Licht. Auf einer Bank direkt am Ufer liegt ein Fischer, er ist einfach gekleidet, hat seine Augen geschlossen und döst vor sich hin. Etwas abseits läuft ein schick angezogener Tourist am Hafen entlang, fotografiert, kommt näher und bleibt neben dem Fischer stehen. Warum liegt dieser Einheimische mitten an einem Nachmittag auf einer Bank? Mit sorgenvoller Stimme erkundigt sich der Tourist nach seinem Wohlergehen, doch dieser versichert ihm: „Es geht mir fantastisch.“ „Warum, wenn ich fragen darf, fahren Sie dann nicht aufs Wasser hinaus? Lohnt es sich nicht?“, möchte der Tourist wissen. Im Gegenteil, die Fangbedingungen in dieser Gegend seien hervorragend, beruhigt ihn der Fischer. Diese Antwort verwirrt den Touristen. Warum dann nicht fischen gehen? „Ich hab heut Morgen schon mehr als genug gefangen.“ Als er das hört, schlägt der Tourist aufgeregt vor, mehrmals täglich fischen zu gehen, am besten nicht nur heute, sondern das ganze Jahr über. „Wissen Sie, was dann geschehen würde?“ Der Fischer schüttelt den Kopf. „Nun, Sie könnten in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen und damit schneller raus aufs Meer. In ein paar Jahren könnten Sie noch ein Boot besitzen, so würden Sie natürlich noch viel mehr fangen, könnten das Geld sparen und sich einen richtigen Kutter kaufen …“ Begeistert hält der Tourist inne und schaut aufs Wasser: „Irgendwann würden Sie ein Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei und eine moderne Marinadenfabrik, mit ihrem eigenen Hubschrauber würden Sie die Fischschwärme aus der Luft erkennen und Ihre Kutter per Funk an die besten Stellen schicken. Sie könnten die alleinigen Fangrechte erwerben, Fischrestaurants eröffnen und die besten Stücke ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren – und dann …“ Die Aufregung verschlägt dem Fremden für einen Moment die Sprache. Der Fischer richtet sich auf und schaut ihn aufmerksam an. „Was dann?“ fragt er leise. „Dann,“ sagt der Fremde mit einem träumerischen Blick, „dann könnten Sie sich zurücklehnen, in der Sonne dösen – und das wunderbare Meer genießen.“ „Aber das mache ich ja jetzt schon“, sagt der Fischer, „ich sitze am Hafen und döse, nur das Klicken Ihres Fotoapparates hat mich gestört.“

 

Mir hat die Geschichte deshalb so gut gefallen, weil sie unser kapitalistisches Streben ad absurdum führt. Auch die Wachstumsfrage könnten wir mit der Haltung des Fischers – dem es ja an nichts fehlt – zukunftsträchtiger angehen als wir es bisher getan haben. Im letzten Bericht „Earth for All“ des „Club of Rome“ (ISBN 978-3-96238-387-9) – auf den ich in dieser Rubrik schon mal hingewiesen habe -, ist folgendes (s.97) zu lesen: „Die einkommensschwachen Länder brauchen vier grundlegende Maßnahmen, um die Armutskehrtwende zu schaffen: (1) Erweiterung ihrer politischen Optionen (auch durch Einschränkung des Raubtier-Kapitalismus), (2) Bewältigung der durch Verschuldung und die größere Finanzinfrastruktur entstehenden Probleme, (3) Umgestaltung der globalen Handelsarchitektur sowie (4) Verbesserung der Systeme des Technologietransfers. Das heißt auch, dass einkommensschwache Länder noch wachsen dürfen im Gegensatz zu entwickelten Ländern.

 

Aufgrund der fehlenden Unterscheidung zwischen verbrauchsbedingten und produktionsbedingten Emissionen können sich einkommensstarke Länder ihrer Verantwortung entziehen. Den Overshoot Day (der Tag also an dem wir alle Ressourcen verbraucht haben, die uns zustehen) hat Luxemburg laut der Denkfabrik Global Footprint Network (GFN) dieses Jahr am 14. Februar erreicht und liegt damit weltweit an zweiter Stelle. (https://csdd.public .lu/fr/actualites/2023/oneplanetluxembourg.html). Wenn wir eine Welt für alle wollen (soziale Gerechtigkeit), müssen wir der Hälfte der Menschheit, die noch in Armut lebt, ein menschenwürdiges Leben zugestehen. Wachstum ist keine Option mehr.

 

Der genügsame und zufriedene Fischer, ein neues Leitbild für uns Luxemburger? Es wäre das Richtige!

Denken Sie daran, wenn Sie sich gute Vorsätze fürs neue Jahr überlegen.

 

Denken Sie aber auch weiterhin an unsere Projekte. Wir brauchen Ihre Solidarität und Ihre Spenden, um die menschliche Entwicklung durch diese Projekte voranzutreiben. Wie bei vielen NGOs hat sich auch bei uns das Spendenaufkommen in der Post-Coronazeit verschlechtert. Sie wissen, dass Ihre Spenden zu 100% in unsere Projekte fließen und alle Nebenkosten durch Nebeneinnahmen (Zinsen, administrative Hilfen des Staates und Freiwilligenarbeit) aufgefangen werden. Danke!

 

Für die Feiertage wünsche ich frohe Stunden mit Familie und Freunden, aber auch ruhige Momente, sowie Glück und Gesundheit im neuen Jahr.

 

 

Marco HOFFMANN

Präsident