Martha Ruiz Flores, diputada supraestatal de Bolivia

Martha Ruiz von unserer Partnerorganisation CONTEXTO in Potosi hat an den rezenten Wahlen in Bolivien teilgenommen und wurde als “diputada supraestatal” gewählt. Diese 8 – 9 „überstaatlichen Parlamentarier“ vertreten die Interessen Boliviens in allen ausserbolivianischen Parlamenten und Gremien im südamerikanischen Subkontinent. Zusätzlich ist Martha auch noch die Koordinatorin dieser Deputierten.

Niños de la Tierra gratuliert von ganzem Herzen.

Martha, die wir zuletzt auf unserer Projektreise 2018 begegneten, ist uns noch in bester Erinnerung. Jean-Paul Hammerel, unser Projektleiter, schrieb ihr vor Kurzem:

Wir hoffen, dass du in deiner neuen Rolle sehr erfolgreich sein wirst. Wir wünschen dir, dass du weiter die sensible Person mit viel gespür für die schwierigen Bedingungen des bolivianischen Volkes bleiben wirst.

Martha antwortete:

Lieber Jean-Paul, ich freue mich sehr und bin dankbar für deine guten Wünsche. Es ist eine Freude, Niños de la Tierra zu kennen, das immer in meinem Herzen und in meinen guten Erinnerungen ist.

Da ich jetzt Stellvertreter des bolivianischen Staates bin, würde sehr gerne weiterhin koordiniert mit euch in dieser neuen Funktion zusammenarbeiten. Es wäre sehr positiv, wenn wir uns bei eurem nächsten Besuch in Bolivien mit euch treffen könnten und das neue Projekt in Potosí fördern würden.

Viele Grüße und eine Umarmung aus der Ferne.

Francisco Sagasti neuer Staatschef in Peru

Der liberale Abgeordnete und Ex-Weltbank-Beamte Francisco Sagasti ist der dritte Präsident Perus innerhalb einer Woche. Francisco Sagasti ist von den Abgeordneten des aus einer Kammer bestehenden Kongresses zunächst zum Parlamentspräsidenten gewählt worden. Dieser wird nach der peruanischen Verfassung automatisch Staatsoberhaupt, wenn das Präsidentenamt unbesetzt ist. Der 76-jährige Sagasti gehört zu einer kleinen Mitte-Rechts-Partei und bekam 97 Ja- und 26 Nein-Stimmen. Der gelernte Ingenieur soll die Regierung bis zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im April führen. Im Juli soll dann das neu gewählte Staatsoberhaupt das Amt übernehmen.

Der ehemalige Weltbank-Beamte ist der dritte Präsident des südamerikanischen Landes innerhalb weniger Tage. Auf ihn warten gigantische Aufgaben: Wiederherstellung des Vertrauens in die Politik bei den Bürgern – Kampf gegen die Korruption – Bekämpfung der Corona.Pandemie, Peru ist Spitzenreiter der Infiziertenzahlen in Südamerika -Wiederbelebung der Wirtschaft – …

Marcel Kohn

Perus Präsident Manuel Merino tritt zurück

Am 15. November erklärte Perus Interimspräsident Manuel Merino, nach nur 5 Tagen Amtszeit, in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt. Er reagierte damit auf die schon 4 Tage andauernden Massenproteste in allen größeren Städten des Landes. Ausgelöst wurden diese durch die Absetzung seines Vorgängers Martín Vizcarra durch den von der rechten Opposition dominierten Kongress.

Merino, vorheriger Parlamentspräsident,  ist schon der 3. Präsident seit den Wahlen von 2016. Er erklärte, alle Mitgieder seines Kabinetts würden ihre Posten zur Verfügung stellen, aber im Amt bleiben, bis die gegenwärtige ungewisse Lage geklärt sei. Die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen würden im April 2021 planmäßig stattfinden.

Bei den Protesten gegen Manuel Merino waren 2 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt worden. Es waren hauptsächlich junge Menschen, die gegen die Entmachtung des beliebten, parteilosen Präsidenten Martín Vizcarra auf die Straßen gingen.

Auch Mitglieder unserer Partnerorganisation Cristo Vive Perú hatten sich an den Demonstrationen beteiligt (siehe vorherigen Beitrag). 

Bei allen negativen Aspekten dieser politischen Wirren ist jedoch absolut positiv zu bewerten, dass die größtenteils friedlichen Massenproteste die Politiker zu Zugeständnissen gezwungen haben. Das Aufbegehren der Bevölkerung in Chile und Bolivien hat doch wohl bei den Politikern in Peru Spuren hinterlassen und zu einem ersten Umdenken geführt. Hoffentlich wird die Zivilgesellschaft in unseren südamerikanischen Partnerländern nicht nachlassen mit ihren Forderungen nach mehr „echter“ Demokratie und gegen politische Korruption.

Marcel Kohn

Peru: Kongress setzt Übergangspräsidenten Vizcarra ab

Wegen Korruptionsvorwürfen hat der Kongress mit 105 von 130 Stimmen den parteilosen Übergangspräsidenten Martín Vizcarra am 10.11.2020 abgewählt. Die Abgeordneten werfen ihm „moralische Unfähigkeit“ vor. Er soll in seiner Zeit als Gouverneur Bestechungsgelder von Baufirmen angenommen haben, lautete die Begründung. Vizcarra, der als Vizepräsident das Amt im März 2018 nach dem Rücktritt von Präsident Pedro Pablo Kuczynski übernommen hatte, hatte dies stets bestritten und dem Kongress Machtgier unterstellt. In allen grösseren Städten Perus gab es daraufhin spontane Straßenproteste. In der  Bevölkerung genießt der Präsident wegen seiner Reformen für mehr Transparenz in Politik und Justiz große Zustimmung.

Hierzu ein Kommentar von Ana María Galiano Gutiérrez,

Direktorin der Fundación Cristo Vive Perú, Cusco

 

Liebe Freunde der Fundación Cristo Vive Perú

Zuallererst jedem von euch liebe Partner aus Luxemburg unsere besten Grüße!

Mit tiefer Trauer, Hilflosigkeit und Empörung teilen wir euch mit, dass der peruanische Kongress an diesem Dienstag, dem 10. November, zur Überraschung des gesamten Volkes den Präsidenten von Peru, Martín Vizcarra, wegen angeblicher Korruption abgesetzt hat. Leider handelt es sich hier um eine total  ILLEGALE und VERFASSUNGSWIDRIGE Handlung seitens der Kongressabgeordneten, gegen die GANZ PERU auferstanden ist und seit vier Tagen auf den Straßen ist, um gegen diesen Missbrauch durch verantwortungslose Politiker zu protestieren, die nur ihre eigenen Interessen sehen, unter Missachtung der Interessen und ernsthaften Bedürfnissen der allgemeinen Bevölkerung. Das Machtstreben dieser verantwortungslosen Politiker hat diesen COUP D’ETAT verursacht. Daher ist unsere Demokratie in ernster Gefahr. Es sieht so aus, als ob wir aufgrund der Art und Weise, wie dieser selbsternannte Präsident Manuel Merino und seine Kongressabgeordneten handeln, vor einer möglichen Diktatur stehen. Jetzt beginnen sie schnell, Gesetze zu verabschieden, um ihre Parteien zu begünstigen, was die Bürgerbeteiligung ernsthaft einschränkt. Gestern Nacht haben sie ein Gesetz verabschiedet, das soziale Proteste massiv einschränkt und den Ordnungskräften den Auftrag erteilt, diejenigen zu erschießen, die an sozialen Mobilisierungen teilnehmen.

Gott sei Dank geht es allen Mitarbeitern von FCV PERÚ gut. Aber wir sind sehr besorgt über die SOZIALE INSTABILITÄT, der wir uns derzeit gegenübersehen. Und diese Situation wirkt sich emotional sowohl auf die persönliche und familiäre Stimmung wie auch auf das Arbeitsklima aus, neben dem ständigen Risiko, dem wir durch Covid19 ausgesetzt sind.

Im Moment sehen wir einer sehr instabilen und ungewissen Zukunft entgegen. Es ist eine sehr besorgniserregende Situation für uns alle und in diesen schwierigen Zeiten fühlen wir uns sehr verletzlich. Deshalb schließen wir uns aus moralischer und sozialer Verantwortung den Mobilisierungen an, um unsere Uneinigkeit mit den Machthabern auszudrücken und gegen die Verletzung unserer Menschenrechte zu protestieren. Die Gier und der Durst nach Macht dieser schlechten Politiker ist ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die sich für eine bessere Welt mit würdigen Optionen, für Gerechtigkeit und Chance für alle einsetzen.

Hoffentlich werden sich die kirchlichen Behörden bald zu Wort melden und uns dabei unterstützen, Frieden und Demokratie wiederherzustellen.

Ich verbleibe mit viel Traurigkeit, dem Gefühl der Empörung, des Ausgeliefertseins aber auch mit der Hoffnung auf einen guten Ausgang dieses Konfliktes, ohne Blutvergießen. Eure – wenn auch nur moralische – Unterstützung, liebe Freunde aus Europa, ist uns dabei ein großer Trost.

Ana María Galiano Gutiérrez

Direktorin der Fundación Cristo Vive Perú

Einige Filmbeiträge auf youtube:

Plurinationales Bolivien, die Rückkehr zur Demokratie in 363 Tagen

Ein Kommentar zum Ausgang der Präsidentenwahl in Bolivien

von Rodrigo Aramayo Mercado und dem ANAWIN-Team

Cochabamba 22.10.2020

traduction française

 

363 Tage sind vergangen seit dem 20. Oktober 2019, dem Datum, an dem die Falschmeldung veröffentlicht wurde, um das Wahlergebnis aufzuheben, das Evo Morales zum vierten Mal zum Präsidenten Boliviens ernannt hätte. In den folgenden 21 Tagen (zwischen Oktober und November 2019) wurde eine tiefgreifende soziologische Konstruktion neu entfacht, die ein vermeintliches Vorrangrecht des weißen und oligarchischen kreolischen Staatsbürgers (des „Menschen“) als alleinigen Eigentümer des Schicksals des Anden-Amazonas-Landes begründet, zum Nachteil des einheimischen bolivianischen Bauern (der als „Barbar“ gilt), der in den letzten 14 Jahren versuchte, eine Charta der Staatsbürgerschaft aufzustellen, und die Kühnheit hatte, sein Recht einzufordern, ein Protagonist beim Aufbau des Staates zu sein.

Diese soziologische Konstruktion, die die nationale Oligarchie (hauptsächlich aus der Provinz Santa Cruz) wiederbelebte, ist seit der Gründung der Republik präsent und ihre Überwindung ist eine der Hauptaufgaben zum Aufbau einer integrativen nationalen Einheit des Andenlandes. Wie René Zabaleta Mercado (bolivianischer Soziologe, Philosoph und Politiker 1937 – 1984) bemerkt, hält der bolivianische Oligarch einen Überlegenheitseid aufrecht, den er niemals verhandeln oder aufgeben wird: „Er kann alles verhandeln, außer den Überlegenheitseid über den Indio. Er wird niemals zulassen, dass der Indio sich als gleichwertig betrachtet. “ Diese Auffassung ist nach wie vor das größte Problem im plurinationalen Staat Bolivien. Das Gefühl derjenigen, die sich in einem Herrschaftsverhältnis überlegen und unterlegen fühlen, zeigte sich auf grobe und krasse Weise in der Regierungszeit der selbsternannten Präsidentin Jeanine Añez: Als erste Maßnahme ihrer Regierung unterzeichnete sie das Dekret 4078, mit dem die Streitkräfte beauftragt wurden, gegen die Bevölkerung auf den Straßen, die bereit war, das von der Bewegung zum Sozialismus (MAS-IPSP) unterstützte Projekt der kulturdemokratischen Transformation zu verteidigen, mit der Erlaubnis zum Töten vorzugehen. Diese Maßnahme führte zu den Massakern von Sacaba/Cochabamba (am 15. November) und Senkata/La Paz (am 19. November) mit einer Bilanz von 37 Toten. Morde, welche die Übergangsregierung als „Prozess zur Befriedung des Landes“ bezeichnete.

Nach den annullierten Wahlen und dem Staatsstreich unter Beteiligung der Polizei und der Streitkräfte im Jahr 2019, kehrten die Bolivianer an diesem Sonntag, dem 18. Oktober 2020, nach fast 14 Jahren Regierungszeit des früheren indigenen Präsidenten Evo Morales (der jetzt aus dem politischen Leben Boliviens verbannt ist) und einer De-facto-Übergangsregierung, die als die katastrophalste in der nationalen Geschichte gilt, zu den Urnen zurück, um ihren Präsidenten zu wählen.

Nach Auszählung von 94% der Stimmen, trotz der unbewiesenen Darstellung von Wahlbetrug und Korruptionsvorwürfen gegen sie und ihre Führer wird deutlich, dass die MAS-IPSP mit mehr als 54,50% der Wahlpräferenzen weiterhin die repräsentativste Partei in Bolivien ist, wobei dieses Ergebnis jede Möglichkeit einer zweiten Runde ausschließt.

Ein mehr als verdienstvolles Ergebnis angesichts des Kontextes, in dem die Volksabstimmung abgehalten wurde. Dies ist nicht zuletzt der Verdienst von Luis Arce Catacora, Präsidentschaftskandidat und David Choquehuanca Céspedes Kandidat für die Vizepräsidentschaft. Ersterer hatte das Wirtschaftsministerium in allen Regierungen von Evo Morales inne, der zweite war Kanzler für denselben Zeitraum.

Luis Arce, Carlos Mesa, Luis Camacho

Bei der Abstimmung belegten die Hauptakteure des Staatsstreichs 2019, der frühere Präsident Carlos Mesa den zweiten Platz mit 29,06% und der ultrarechte Kandidat aus Santa Cruz, Luis Camacho, den 3. Platz mit 14,36%. Die Kandidaten teilten sich die Stimmen des rechten Flügels und der Oligarchie, aber die Ergebnisse machten deutlich, dass sie selbst dann keinen Sieg hätten erzielen können, wenn sie zusammen gegangen wären.

Abgesehen von der Abstimmung, die in erster Linie eine politische Partei unterstützt, hat die Wahlpräferenz, die eindeutig aus der Überzeugung der Bürger hervorgeht, eine offensichtliche Ausrichtung der Unterstützung für einen Veränderungsprozess und eine Periode wirtschaftlicher Stabilität, die auf der Unterstützung der Mittelschicht, der indigenen Völker, der Organisationen und sozialen Bewegungen basiert, welche die „Suma Qamaña“, Good Living, ein neues wirtschaftliches und soziales Paradigma, die Formulierung eines kommunalen Wirtschaftsprojekts, promoviert.

Trotz der Kraft der Wahlergebnisse wird sich der Konflikt, der nach der Unterbrechung des Prozesses der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Transformation des Plurinationalen Staates Bolivien entsteht, mit den Wahlen nicht ändern. Der Prozess für die Konfiguration der Sitze in der gesetzgebenden Versammlung und die soziale und regionale Polarisierung sind schwierig und langwierig. Die Oppositionsparteien, die Oligarchie und die paramilitären Gruppierungen („Cruceño-Jugend“, „Cochala-Widerstand“, „Tempña- Widerstand“ unter anderen), in der faschistisch-rassistischen Logik organisiert, werden weiterhin nach Machtübernahme oder politischer Destabilisierung streben, da sie von transnationalen wirtschaftspolitischen Mächten, Landbesitzern und Bürgerkomitees unterstützt werden.

Ohne Zweidrittelmehrheit in der Plurinationalen Legislativversammlung, die sich aus Abgeordneten- und Senatorenkammer zusammensetzt, wird die neue Regierung es nicht leicht haben, nach Räumen für die Wiederherstellung der Einheit des Landes zu suchen.

Aus zivilgesellschaftlicher Sicht muss diese Wiederherstellung der nationalen Einheit auch eine dringende Aufgabe für politische Führer, Nichtregierungsorganisationen und soziale Aktivisten im Allgemeinen sein. Die integrative und partizipative Demokratie soll auf der Grundlage der Anerkennung der Identität von Person, Kultur und Bevölkerungszugehörigkeit gestärkt werden und authentischer Respekt vor Unterschieden, Stimulierung der passiven sozialen Interaktion durch soziale Eingliederung und politische Führung der Bevölkerung gesichert werden. Dies wird gleichzeitig zur Verbesserung der Lebensbedingungen und volkswirtschaftlichem Wohlstand führen.

 

Bolivia Plurinacional, la vuelta a la democracia en 363 días

Comentarios sobre la elección presidencial de Rodrigo Aramayo Mercado y equipo de ANAWIN

Cochabamba 22/10/2020

Han transcurrido 363 días desde el 20 de octubre de 2019, fecha en la que se impuso la narrativa del fraude, para anular el resultado electoral que ungiría por cuarta vez a Evo Morales como presidente de Bolivia. En los siguientes 21 días (entre octubre y noviembre 2019) se reavivo una profunda construcción sociológica, que pone de manifestó un supuesto  derecho consuetudinario de primacía del  ciudadano criollo urbano blancoide y oligarca (el humano) como único propietario del destino del país andino-amazónico, en desmedro del boliviano indígena originario campesino (considerado el bárbaro), que en los últimos 14 años intentó cobrar carta de  ciudadanía y tuvo la osadía de reclamar su derecho a ser protagonista de la construcción del Estado. Weiterlesen

Chile verfasst sich neu

 

Überwältigende Mehrheit votiert für die Überwindung der Pinochet-Verfassung

Von Martin Ling, Neues Deutschland 26.10.2020

»Es lebe Chile, verdammte Scheiße.« Mit diesen Worten beschloss der Enkel von Salvador Allende seine Botschaft im Kurznachrichtendienst Twitter zum Ergebnis des Referendums in Chile. Pablo Sepúlveda Allende ist wie sein Großvater Arzt, lebt und arbeitet in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Vorausgeschickt hatte er seine Einschätzung: »Für mich hat dieser überwältigende Triumph eine symbolische Bedeutung, denn heute hat das chilenische Volk das katastrophale Vermächtnis Pinochets auf den Misthaufen der Geschichte geschickt.«

Nicht nur bei Allende in Caracas schlugen die Emotionen hoch. Tausende Chilen*innen strömten nach den ersten Ergebnissen auf die Plaza Italia in Santiago, die seit dem Beginn der Protestbewegung am 18. Oktober 2019 in Platz der Würde (Plaza de la dignidad) umgetauft wurde. Auch wenn die Bewertungen von »einer demokratischen Lektion für die Welt« bis zu »ein bittersüßer Sieg, der zu viele Menschenleben gekostet hat« reichten, war man sich doch einig: Die Verfassung von 1980 aus der Pinochet-Diktatur (1973-90) hat endlich ausgedient und gedient hatte sie ja ohnehin nur den oberen Zehntausend.

Das Plebiszit hatte die rechte Regierung von Sebastián Piñera zugestanden, nachdem es seit dem 18. Oktober 2019 monatelang zu Massenprotesten im Land gekommen war, denen erst die Corona-Pandemie die Spitze nahm. Dabei wurden mehr als 30 Menschen getötet und über 200 Menschen verloren ihr Augenlicht durch Hartgummigeschosse der Polizei.

Ausgelöst wurden die Proteste durch eine Erhöhung der Fahrscheinpreise im öffentlichen Nahverkehr um 30 Pesos – umgerechnet drei Cent. »Es geht nicht um 30 Pesos, es geht um 30 Jahre«, lautete einer der auf den Demos gerufenen Slogans. Es geht in Chile in der Tat um die Folgen von 30 Jahren neoliberaler Politik, die nach Ende der Pinochet-Diktatur 1990 nahezu bruchlos fortgesetzt wurde. Strom, Wasser, Bildung, Gesundheits- und Rentensystem wurden unter General Augusto Pinochet privatisiert. Die sozialen Strukturen des demokratischen Sozialismus, aufgebaut unter Salvador Allende, wurden zerschlagen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, weil die Verfassung von 1980 jeder größeren Veränderung einen Riegel vorschob.

Das Ergebnis ist eindeutig: Chiles Bevölkerung hat die Verfassung satt. 78,3 Prozent stimmten für eine neue Verfassung, nur 21,7 Prozent wollen an der Verfassung von Pinochet festhalten. Auch die Mindestbeteiligung von 50 Prozent wurde erreicht.

Ursprünglich war das Referendum für April angesetzt, wegen der Coronakrise wurde die Abstimmung jedoch auf Oktober verschoben. Die Chilen*innen mussten auch entscheiden, wer eine mögliche neue Verfassung entwerfen soll: eine gemischte Versammlung, zusammengesetzt aus Abgeordneten und Bürgern, oder eine reine Bürgerversammlung mit 155 Mitgliedern. 79 Prozent sprachen sich für die zweite Variante ohne Politiker*innen aus, was das tiefe Misstrauen gegenüber der politischen Klasse zeigt, die 30 Jahre keine Anstalten gemacht hat, die Verfassung aus der Diktatur infrage zu stellen. Dafür sorgte erst der Druck der Straße. Das Verfassungsgremium soll im April 2021 gewählt werden; über den von ihm erarbeiteten Entwurf soll dann im Jahr 2022 ein erneutes Referendum abgehalten werden.

In der Protestbewegung gibt es aber durchaus Skepsis. Nicht wenige halten den Prozess einer verfassunggebenden Versammlung für eine Falle der Regierung: Reform der Verfassung ja, aber ohne das neoliberale Modell wirklich anzutasten. Piñera hat schon zehn Punkte genannt, die seiner Meinung nach in eine neue Verfassung unbedingt reingehören. Darunter findet sich die Rolle der traditionellen Familie und der privaten Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Mit den Forderungen der Protestbewegung lässt sich das nicht vereinbaren: Schluss mit dem privaten Rentensystem, kostenlose Bildung, Gesundheitsversorgung für alle.

 

Ein Kommentar von Schwester Karoline Mayer, Recoleta, Santiago de Chile:

Sicher kam das Ergebnis unseres Plebiszit bei euch in den Nachrichten.

Der 25. Oktober 2020 wird in die Geschichte Chiles eingehen: 78% der Wähler haben sich für eine neue Verfassung entschieden, die ohne die Beteiligung von Abgeordneten („Parlamentarios“) von einer verfassungsgebenden Versammlung geschrieben wird.

Von den insgesamt 436 Kommunen Chiles haben 431 mit grosser Mehrheit für eine neue Verfassung und nur 5 Kommunen mehrheitlich für die Pinochet-Verfassung gestimmt: davon 3 Kommunen  der Reichenviertel Santiagos, was mich sehr traurig macht, weil sie damit die enorme soziale Spaltung in unserem Land vor aller Augen gezeigt haben, weit ab von sozialer Gerechtigkeit und dem Willen zur Überwindung unserer Klassengesellschaft mit all ihren Privilegien.

Dennoch ist die Freude des Volkes unbeschreiblich. Viele Pobladores in unserer Siedlung hoffen, – auch wenn sie selbst vielleicht wenig davon abbekommen werden – dass ihre Kinder und Enkel ein würdigeres Leben haben werden.

Sieg der Basis in Bolivien

Der Wahlsieg der Sozialistischen Partei kam auch durch eine soziale Bewegung zustande. Sie wird der neuen Regierung nicht alles durchgehen lassen.

Präsidentschaftskandidat Luis Arce feiert in La Paz den Sieg der Sozialistischen Partei
Foto: Ueslei Marcelino/reuterso

Bolivien hat gewählt. Luis Arce, neuer Präsident von Bolivien, verfkörpert die Abwahl einer ultrarechten Regierung, deren Ausrichtung in nur einem Jahr unter Jeanine Áñez allzu deutlich wurde. Áñez äußerte sich wiederholt rassistisch gegen die mehrheitlich indigene Bevölkerung, ließ das Militär oder Paramilitärs auf De­mons­tran­t*in­nen schießen und hat mit ihrer Regierung laut Interamerikanischer Menschenrechtskommission zwei Massaker an Oppositionellen zu verantworten. Sie ist christlich-konservativ und vertritt eine aggressiv neoliberale Politik.

Nachdem Áñez ihre Kandidatur wegen Unbeliebtheit zurückzog, war von dem parteilosen Kandidaten Carlos Mesa zumindest wirtschaftlich kein Kurswechsel zu erwarten. Der Sieg des Sozialisten Luis Arce ist somit in erster Linie als eine Absage an die rechtsliberale Politik zu verstehen. Mit dem zukünftigen Vizepräsidenten David Choquehuanca würde auch wieder ein indigener Politiker ein zentrales Amt bekommen.

Die Siegerpartei „Bewegung zum Sozialismus“, MAS, wird von großen Teilen der Bevölkerung allerdings ebenfalls scharf kritisiert, auch von links. Zwischen 2006 und 2019 versuchte die MAS unter dem damaligen Präsidenten Evo Morales den schwierigen Spagat zwischen Wirtschaftswachstum und sozialer Gerechtigkeit sowie dem Respekt vor Indigenen Territorien – ein Spagat, der mit einer Bauchlandung endete.

Luis Arce, früher Wirtschaftsminister unter Morales, steht für eine Politik des Extraktivismus – also die rücksichtslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen –, durch die Indigene Territorien zerstört werden. Trotz bedeutender Errungenschaften in der Sozialpolitik enttäuschte die Partei, indem sie sich zunehmend der Wirtschaftselite annäherte. Auch regierte Evo Morales mit der MAS zuletzt autoritär.

Trotzdem ist der Wahlsieg von Luis Arce und der MAS ein Sieg der Bevölkerung. Denn die hat in den vergangenen Monaten eine kraftvolle und handlungsfähige Landbewegung von unten aufgebaut: Während die amtierende Regierung den Wahltermin immer weiter verschieben und sich vermutlich um die Wahl drücken wollte, errichteten soziale Bewegungen und Gewerkschaften landesweit Straßenblockaden und legten das Land lahm.

Im besten Fall wird diese starke Bewegung auch der MAS nicht alles durchgehen lassen. Es besteht die Hoffnung, dass sie sich auflehnt, wenn die Partei zu weit in Richtung Extraktivismus abbiegt oder Bevölkerungsgruppen übergeht. Dass die Partei daran erinnert werden wird, für wen sie sich einst stark machen wollte. (in taz 19.10.2020)

Warten auf die Volksabstimmung

Karoline Mayer berichtet zur Lage in ihren Einrichtungen in Bolivien, Chile und Peru

19.10.2020

Die vergangenen sechs Monate der Pandemie zusammen mit dem sozialen Aufbruch im Land schienen den Menschen um uns herum in den Poblaciones manchmal unerträglich und oft hoffnungslos. Aber dafür haben wir zum Trost der Menschen die Türen der Gemeinde Cristo Vive offengehalten, ebenso unser Gemeindehaus, in dem jeden Sonntag unter der Leitung unseres Mitbruders Elias und Schwester Teresa zusammen mit ehrenamtlichen Gemeindemitgliedern ein gutes Mittagessen für 500 bis 600 Bedürftige gekocht wird. Auch andere Leute in der Siedlung haben sich zusammengetan und Suppenküchen aufgemacht. Überrascht haben uns dabei die vielen solidarischen Initiativen!

Für mich persönlich waren diese Monate seit Mitte März eine Herausforderung der Liebe Gottes. Die ersten Monate ging ich noch ins Büro, als aber die Not der Leute in unserer Siedlung wuchs, entschloss ich mich, den institutionellen Dienst hauptsächlich von Zuhause aus zu machen, um gleichzeitig zusammen mit Maruja den Kranken und Bedürftigen, die jeden Tag an unsere Tür kommen, in ihrer Not beizustehen.

Bei allen Einschränkungen  haben unsere Mitarbeitenden in der Fundación Cristo Vive versucht, die Menschen, mit Hilfe von Annekathrins Kampagne hier in Chile und durch Spenden von unseren luxemburger, schweizer und deutschen Freunden, zu unterstützen

Seit Wochen gibt es kaum neue Ansteckungen in unserem Gesundheitszentrum und dennoch wird die Angst vor einer 2. Welle hochgehalten.

Wir haben in diesen schwierigen Monaten keinen unserer Mitarbeiter entlassen, obwohl der Staat keinen Cent für unsere Berufsschulen gezahlt hat, die im ersten Semester 600 junge Menschen in einem Beruf ausbilden sollten. 

Wie ihr wisst, begann am 18.Oktober 2019 in Chile ein sozialer Aufstand, der erwirkt hat, dass sich die verschiedenen Parteien mit der Regierung auf eine Volksabstimmung einigen konnten, die über die Möglichkeit der Erarbeitung einer neuen Verfassung entscheiden wird. Unsere jetzige Verfassung wurde Chile im Jahr 1980 von der Diktatur gegeben, eine Verfassung, die eine totale neoliberale kapitalistische Wirtschaftspolitik gesetzlich verankert. 30 Jahre Demokratie mit 6 Mitte-links Regierungen konnten daran fast nichts ändern. „Chile despertó!“, „Chile ist erwacht“, rief unser Freund, der aus der Oberschicht stammende bekannte Arbeiterpriester, Mariano Puga, vor genau einem Jahr. Nach einer Verschiebung des Termins wegen der Pandemie wird nun am nächsten Sonntag, den 25.Oktober, diese wichtige Volksabstimmung stattfinden.

Ich selbst wie auch Maruja denken, dass wir zusammen mit unseren Mitarbeitern in dieser schweren Zeit privilegiert sind. Mit Maruja leben wir seit fast 50 Jahren unter den Armen. Wir haben die Möglichkeit anderen in ihren Nöten beizustehen. Manchmal hilft ihnen schon, dass sie sich bei uns ausweinen können. Oft erlebe ich auch kleine Wunder: Nach der Beerdigung ihrer Mutter übergibt mir die Tochter das übrig gebliebene Morphium. Ich wollte es in unser Gesundheitszentrum bringen, habe es aber vergessen. In der darauffolgenden Freitagnacht ruft mich ein junger Freund verzweifelt an, dass er unbedingt Morphium, vom Arzt per Telefon verordnet, für seine schrecklich leidende Mutter brauche. Woher es jetzt ohne Rezept bekommen? Da war es – das vergessene Morphium!!! Ein Nachbar, dem ich für sein schlimmes Augenleiden einen Augenarzt besorgt hatte, brachte uns eine schwere Kiste mit Lebensmitteln „für eine Familie in Not“. Perplex frage ich ihn, „und deine Familie?“. „Ich selbst habe noch Arbeit und das Bedürfnis mit anderen zu teilen.“

Die Pandemie traf Bolivien in einer Zeit schlimmer politischer Unruhen mit Verfolgung ehemaliger Regierungsträger und andererseits mit heftigem Widerstand des Volkes. In der Erwartung auf das Wahlergebnis an diesem 18. Oktober hat sich das Land etwas beruhigt und für unsere Mitarbeiter ist seit ein paar Wochen der Alltag in unseren Diensten eingekehrt. Nur die Kindertagesstätten sind weiter geschlossen. Doch wir hoffen, dass auch diese bald wieder öffnen dürfen, denn für die Familien ist diese Situation eine schwere Belastung. Zum Glück können wir auch wieder mit den Schulkindern in den Kulturzentren Sumaj Yachay und Chocaya arbeiten. Wir hoffen, dass die rund 550 SchülerInnen unserer Berufsfachschule Sayarinapaj in Bella Vista das Schuljahr schaffen, auch wenn dieses statt im November, voraussichtlich erst im kommenden Januar enden wird.  Unser Team um Tilme, das den Familien in Tirani und Andrada beim Anbau ihrer Felder beisteht, blieb fast alle Monate durchgehend bei der Arbeit, sodass inzwischen schon geerntet werden kann. In der Zeit der Pandemie war es besonders schwer, unsere Puriskiris, die 85 alten Menschen von der Straße, zu begleiten. Aber die Mitarbeiter unter der Leitung von Rosario haben alles nur Mögliche für sie getan, wie auf dem Foto zu sehen ist.

Bei den heutigen Wahlen hat das bolivianische Volk entschieden, den Weg sozialer Gerechtigkeit weiterzugehen.

In Cusco war die Arbeit unserer Mitarbeiter in den vergangenen Monaten sehr schwer, da die offiziellen Einschränkungen, vor allem der Bewegungsfreiheit, unverständlich hart waren. Elf Frauen, die mit ihren Kindern im Haus Sonqo Wasi aufgenommen werden sollten, haben es nicht geschafft, die Hindernisse zu überwinden, um zu uns zu kommen. Dennoch haben sich unsere Mitarbeiter eingesetzt, notleidende Familien mit Lebensmitteln zu versorgen, ebenso mit Hilfe einer Spende von „Niños de la Tierra“ konnten Sauerstoffflaschen besorgt werden, um mittellosen Covid- Erkrankten beizustehen. Wir erwarten nun, dass bald Normalität einkehrt.

Notre aide reste sollicitée

La pandémie COVID19 sévit toujours en Bolivie, au Chili et au Pérou. Elle entraine une forte mortalité et un système sanitaire en défaillance totale sans parler des suites humanitaires qui s‘en suivent. En plus la situation économique est en pleine chute. Une grande partie de la population active travaille dans le secteur informel (boutiques ambulantes, saisonniers, journaliers). Le confinement ainsi que la baisse des activités économiques les privent de tout revenu. Ils dépendent de l‘aide extérieure, en partie mineure, de l‘Etat respectif ou d‘organismes privés, comme nos associations partenaires locales. Mais leurs moyens d‘aide sont restreints. En ce qui nous concerne, les fonds cofinancés par l‘Etat sont liés à un projet spécifique et ne peuvent être dérogés à cette fin.


Nous nous voyons donc forcés d‘appeler encore une fois à votre générosité, chers amis et sympathisants de Niños de la Tierra, pour soutenir nos associations partenaires.

Veuillez doter vos dons à notre CCPL LU75 1111 0897 7348 0000

de la mention „don covid-19“.

Merci pour votre sympathie et votre engagement!

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