Martha Ruiz Flores, diputada supraestatal de Bolivia

Martha Ruiz von unserer Partnerorganisation CONTEXTO in Potosi hat an den rezenten Wahlen in Bolivien teilgenommen und wurde als “diputada supraestatal” gewählt. Diese 8 – 9 „überstaatlichen Parlamentarier“ vertreten die Interessen Boliviens in allen ausserbolivianischen Parlamenten und Gremien im südamerikanischen Subkontinent. Zusätzlich ist Martha auch noch die Koordinatorin dieser Deputierten.

Niños de la Tierra gratuliert von ganzem Herzen.

Martha, die wir zuletzt auf unserer Projektreise 2018 begegneten, ist uns noch in bester Erinnerung. Jean-Paul Hammerel, unser Projektleiter, schrieb ihr vor Kurzem:

Wir hoffen, dass du in deiner neuen Rolle sehr erfolgreich sein wirst. Wir wünschen dir, dass du weiter die sensible Person mit viel gespür für die schwierigen Bedingungen des bolivianischen Volkes bleiben wirst.

Martha antwortete:

Lieber Jean-Paul, ich freue mich sehr und bin dankbar für deine guten Wünsche. Es ist eine Freude, Niños de la Tierra zu kennen, das immer in meinem Herzen und in meinen guten Erinnerungen ist.

Da ich jetzt Stellvertreter des bolivianischen Staates bin, würde sehr gerne weiterhin koordiniert mit euch in dieser neuen Funktion zusammenarbeiten. Es wäre sehr positiv, wenn wir uns bei eurem nächsten Besuch in Bolivien mit euch treffen könnten und das neue Projekt in Potosí fördern würden.

Viele Grüße und eine Umarmung aus der Ferne.

Plurinationales Bolivien, die Rückkehr zur Demokratie in 363 Tagen

Ein Kommentar zum Ausgang der Präsidentenwahl in Bolivien

von Rodrigo Aramayo Mercado und dem ANAWIN-Team

Cochabamba 22.10.2020

traduction française

texto original en español

363 Tage sind vergangen seit dem 20. Oktober 2019, dem Datum, an dem die Falschmeldung veröffentlicht wurde, um das Wahlergebnis aufzuheben, das Evo Morales zum vierten Mal zum Präsidenten Boliviens ernannt hätte. In den folgenden 21 Tagen (zwischen Oktober und November 2019) wurde eine tiefgreifende soziologische Konstruktion neu entfacht, die ein vermeintliches Vorrangrecht des weißen und oligarchischen kreolischen Staatsbürgers (des „Menschen“) als alleinigen Eigentümer des Schicksals des Anden-Amazonas-Landes begründet, zum Nachteil des einheimischen bolivianischen Bauern (der als „Barbar“ gilt), der in den letzten 14 Jahren versuchte, eine Charta der Staatsbürgerschaft aufzustellen, und die Kühnheit hatte, sein Recht einzufordern, ein Protagonist beim Aufbau des Staates zu sein.

Diese soziologische Konstruktion, die die nationale Oligarchie (hauptsächlich aus der Provinz Santa Cruz) wiederbelebte, ist seit der Gründung der Republik präsent und ihre Überwindung ist eine der Hauptaufgaben zum Aufbau einer integrativen nationalen Einheit des Andenlandes. Wie René Zabaleta Mercado (bolivianischer Soziologe, Philosoph und Politiker 1937 – 1984) bemerkt, hält der bolivianische Oligarch einen Überlegenheitseid aufrecht, den er niemals verhandeln oder aufgeben wird: „Er kann alles verhandeln, außer den Überlegenheitseid über den Indio. Er wird niemals zulassen, dass der Indio sich als gleichwertig betrachtet. “ Diese Auffassung ist nach wie vor das größte Problem im plurinationalen Staat Bolivien. Das Gefühl derjenigen, die sich in einem Herrschaftsverhältnis überlegen und unterlegen fühlen, zeigte sich auf grobe und krasse Weise in der Regierungszeit der selbsternannten Präsidentin Jeanine Añez: Als erste Maßnahme ihrer Regierung unterzeichnete sie das Dekret 4078, mit dem die Streitkräfte beauftragt wurden, gegen die Bevölkerung auf den Straßen, die bereit war, das von der Bewegung zum Sozialismus (MAS-IPSP) unterstützte Projekt der kulturdemokratischen Transformation zu verteidigen, mit der Erlaubnis zum Töten vorzugehen. Diese Maßnahme führte zu den Massakern von Sacaba/Cochabamba (am 15. November) und Senkata/La Paz (am 19. November) mit einer Bilanz von 37 Toten. Morde, welche die Übergangsregierung als „Prozess zur Befriedung des Landes“ bezeichnete.

Nach den annullierten Wahlen und dem Staatsstreich unter Beteiligung der Polizei und der Streitkräfte im Jahr 2019, kehrten die Bolivianer an diesem Sonntag, dem 18. Oktober 2020, nach fast 14 Jahren Regierungszeit des früheren indigenen Präsidenten Evo Morales (der jetzt aus dem politischen Leben Boliviens verbannt ist) und einer De-facto-Übergangsregierung, die als die katastrophalste in der nationalen Geschichte gilt, zu den Urnen zurück, um ihren Präsidenten zu wählen.

Nach Auszählung von 94% der Stimmen, trotz der unbewiesenen Darstellung von Wahlbetrug und Korruptionsvorwürfen gegen sie und ihre Führer wird deutlich, dass die MAS-IPSP mit mehr als 54,50% der Wahlpräferenzen weiterhin die repräsentativste Partei in Bolivien ist, wobei dieses Ergebnis jede Möglichkeit einer zweiten Runde ausschließt.

Ein mehr als verdienstvolles Ergebnis angesichts des Kontextes, in dem die Volksabstimmung abgehalten wurde. Dies ist nicht zuletzt der Verdienst von Luis Arce Catacora, Präsidentschaftskandidat und David Choquehuanca Céspedes Kandidat für die Vizepräsidentschaft. Ersterer hatte das Wirtschaftsministerium in allen Regierungen von Evo Morales inne, der zweite war Kanzler für denselben Zeitraum.

Luis Arce, Carlos Mesa, Luis Camacho

Bei der Abstimmung belegten die Hauptakteure des Staatsstreichs 2019, der frühere Präsident Carlos Mesa den zweiten Platz mit 29,06% und der ultrarechte Kandidat aus Santa Cruz, Luis Camacho, den 3. Platz mit 14,36%. Die Kandidaten teilten sich die Stimmen des rechten Flügels und der Oligarchie, aber die Ergebnisse machten deutlich, dass sie selbst dann keinen Sieg hätten erzielen können, wenn sie zusammen gegangen wären.

Abgesehen von der Abstimmung, die in erster Linie eine politische Partei unterstützt, hat die Wahlpräferenz, die eindeutig aus der Überzeugung der Bürger hervorgeht, eine offensichtliche Ausrichtung der Unterstützung für einen Veränderungsprozess und eine Periode wirtschaftlicher Stabilität, die auf der Unterstützung der Mittelschicht, der indigenen Völker, der Organisationen und sozialen Bewegungen basiert, welche die „Suma Qamaña“, Good Living, ein neues wirtschaftliches und soziales Paradigma, die Formulierung eines kommunalen Wirtschaftsprojekts, promoviert.

Trotz der Kraft der Wahlergebnisse wird sich der Konflikt, der nach der Unterbrechung des Prozesses der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Transformation des Plurinationalen Staates Bolivien entsteht, mit den Wahlen nicht ändern. Der Prozess für die Konfiguration der Sitze in der gesetzgebenden Versammlung und die soziale und regionale Polarisierung sind schwierig und langwierig. Die Oppositionsparteien, die Oligarchie und die paramilitären Gruppierungen („Cruceño-Jugend“, „Cochala-Widerstand“, „Tempña- Widerstand“ unter anderen), in der faschistisch-rassistischen Logik organisiert, werden weiterhin nach Machtübernahme oder politischer Destabilisierung streben, da sie von transnationalen wirtschaftspolitischen Mächten, Landbesitzern und Bürgerkomitees unterstützt werden.

Straßenblokade in Santa Cruz von wütenden MAS-Gegnern nach Bekannwerden des Wahlresultats

Ohne Zweidrittelmehrheit in der Plurinationalen Legislativversammlung, die sich aus Abgeordneten- und Senatorenkammer zusammensetzt, wird die neue Regierung es nicht leicht haben, nach Räumen für die Wiederherstellung der Einheit des Landes zu suchen.

Aus zivilgesellschaftlicher Sicht muss diese Wiederherstellung der nationalen Einheit auch eine dringende Aufgabe für politische Führer, Nichtregierungsorganisationen und soziale Aktivisten im Allgemeinen sein. Die integrative und partizipative Demokratie soll auf der Grundlage der Anerkennung der Identität von Person, Kultur und Bevölkerungszugehörigkeit gestärkt werden und authentischer Respekt vor Unterschieden, Stimulierung der passiven sozialen Interaktion durch soziale Eingliederung und politische Führung der Bevölkerung gesichert werden. Dies wird gleichzeitig zur Verbesserung der Lebensbedingungen und volkswirtschaftlichem Wohlstand führen.

 

Bolivia Plurinacional, la vuelta a la democracia en 363 días

Comentarios sobre la elección presidencial de Rodrigo Aramayo Mercado y equipo de ANAWIN

Cochabamba 22/10/2020

Han transcurrido 363 días desde el 20 de octubre de 2019, fecha en la que se impuso la narrativa del fraude, para anular el resultado electoral que ungiría por cuarta vez a Evo Morales como presidente de Bolivia. En los siguientes 21 días (entre octubre y noviembre 2019) se reavivo una profunda construcción sociológica, que pone de manifestó un supuesto  derecho consuetudinario de primacía del  ciudadano criollo urbano blancoide y oligarca (el humano) como único propietario del destino del país andino-amazónico, en desmedro del boliviano indígena originario campesino (considerado el bárbaro), que en los últimos 14 años intentó cobrar carta de  ciudadanía y tuvo la osadía de reclamar su derecho a ser protagonista de la construcción del Estado. Weiterlesen

Sieg der Basis in Bolivien

Der Wahlsieg der Sozialistischen Partei kam auch durch eine soziale Bewegung zustande. Sie wird der neuen Regierung nicht alles durchgehen lassen.

Präsidentschaftskandidat Luis Arce feiert in La Paz den Sieg der Sozialistischen Partei
Foto: Ueslei Marcelino/reuterso

Bolivien hat gewählt. Luis Arce, neuer Präsident von Bolivien, verfkörpert die Abwahl einer ultrarechten Regierung, deren Ausrichtung in nur einem Jahr unter Jeanine Áñez allzu deutlich wurde. Áñez äußerte sich wiederholt rassistisch gegen die mehrheitlich indigene Bevölkerung, ließ das Militär oder Paramilitärs auf De­mons­tran­t*in­nen schießen und hat mit ihrer Regierung laut Interamerikanischer Menschenrechtskommission zwei Massaker an Oppositionellen zu verantworten. Sie ist christlich-konservativ und vertritt eine aggressiv neoliberale Politik.

Nachdem Áñez ihre Kandidatur wegen Unbeliebtheit zurückzog, war von dem parteilosen Kandidaten Carlos Mesa zumindest wirtschaftlich kein Kurswechsel zu erwarten. Der Sieg des Sozialisten Luis Arce ist somit in erster Linie als eine Absage an die rechtsliberale Politik zu verstehen. Mit dem zukünftigen Vizepräsidenten David Choquehuanca würde auch wieder ein indigener Politiker ein zentrales Amt bekommen.

Die Siegerpartei „Bewegung zum Sozialismus“, MAS, wird von großen Teilen der Bevölkerung allerdings ebenfalls scharf kritisiert, auch von links. Zwischen 2006 und 2019 versuchte die MAS unter dem damaligen Präsidenten Evo Morales den schwierigen Spagat zwischen Wirtschaftswachstum und sozialer Gerechtigkeit sowie dem Respekt vor Indigenen Territorien – ein Spagat, der mit einer Bauchlandung endete.

Luis Arce, früher Wirtschaftsminister unter Morales, steht für eine Politik des Extraktivismus – also die rücksichtslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen –, durch die Indigene Territorien zerstört werden. Trotz bedeutender Errungenschaften in der Sozialpolitik enttäuschte die Partei, indem sie sich zunehmend der Wirtschaftselite annäherte. Auch regierte Evo Morales mit der MAS zuletzt autoritär.

Trotzdem ist der Wahlsieg von Luis Arce und der MAS ein Sieg der Bevölkerung. Denn die hat in den vergangenen Monaten eine kraftvolle und handlungsfähige Landbewegung von unten aufgebaut: Während die amtierende Regierung den Wahltermin immer weiter verschieben und sich vermutlich um die Wahl drücken wollte, errichteten soziale Bewegungen und Gewerkschaften landesweit Straßenblockaden und legten das Land lahm.

Im besten Fall wird diese starke Bewegung auch der MAS nicht alles durchgehen lassen. Es besteht die Hoffnung, dass sie sich auflehnt, wenn die Partei zu weit in Richtung Extraktivismus abbiegt oder Bevölkerungsgruppen übergeht. Dass die Partei daran erinnert werden wird, für wen sie sich einst stark machen wollte. (in taz 19.10.2020)

BOLIVIEN: Corona, Demos, politisches Chaos

Die rechte Übergangspräsidentin Jeanine Áñez will nicht von der Macht lassen. Der linke Ex-Präsident Evo Morales mischt aus dem Exil mit. Die Corona-Pandemie bekommt Bolivien so nicht in den Griff.

Bolivien bekommt die Corona-Pandemie nur schwer in den Griff. Foto: ABI

„No mentiras“, „Keine Lügen“ heißt eine Fernsehsendung in Bolivien. Sie nimmt für sich in Anspruch, 30 Minuten die ganze, gegebenenfalls unbequeme Wahrheit zu zeigen – auch auf die Gefahr hin, weit über das Ziel hinauszuschießen. Am 17. Juni, vor einem Monat, sendete das TV-Magazin live aus einem Krankenhaus in der Millionenmetropole Santa Cruz. Die Bolivianer vor ihren Fernsehgeräten konnten in Echtzeit dem Todeskampf eines COVID-19-Patienten zusehen, während die Ärzte verzweifelt versuchten, ihm das Leben zu retten.

Es gab kein Happy End, der Patient starb, hunderttausende Bolivianer waren Zeuge. Während viele die Sensationsberichterstattung des Senders PAT geißelten, nannten die Macher ihre Sendung einen Weckruf – sie wollten damit die Behörden wachrütteln, die bei der Pandemiebekämpfung auf ganzer Linie versagt hätten.

Boliviens Gesundheitssystem kollabiert

Über 50.000 Corona-Fälle hat Bolivien, eine immense Dunkelziffer, beinahe 2.000 Tote. Zur unbequemen Wahrheit gehört, dass das bolivianische Gesundheitssystem mit dem Ausbruch des Virus heillos überfordert ist. Oder wie es der Arzt Fernando Patiño aus La Paz sagt: „Die Situation ist alarmierend, weil wir jetzt auch immer mehr Corona-Fälle im Hochland haben!“ Das Virus hat sich in den vergangenen Wochen aus den Dschungelgebieten in andere Landesteile verbreitet.

Der Mediziner Patiño wird oft gefragt in diesen Tagen – weil er zu den besten Onkologen des Landes zählt, ausgerechnet an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, USA, geforscht hat und gnadenlos den Finger in die Wunde legt, wenn es um den Zustand des Gesundheitssektors geht: „Unser System, sei es staatlich oder privat, ist frühzeitig kollabiert. Viele Menschen hier sind ohne Diagnose und ohne ärztliche Hilfe einfach weggestorben. In der Amazonasregion ist das Gesundheitswesen sogar auf dem Stand von vor einem halben Jahrhundert stehengeblieben.“

Fehlende Investitionen im Medizinsektor

42 Krankenhäuser in Bolivien behandeln mittlerweile COVID-19-Patienten, 405 Intensivbetten sind über das Land verteilt, 331 von ihnen sind neu. Schon das reicht nicht, die Krankenhäuser nehmen oft keine weiteren Patienten mehr auf. Vor allem aber fehlt es an allen Ecken und Enden an Corona-Tests. Und wenn eine Person mit Symptomen doch getestet wird, dauert es zwei bis drei Wochen, bis das Ergebnis kommt.

In der Corona-Krise rächt sich, dass das Gesundheitswesen über Jahrzehnte vernachlässigt wurde. „Bolivien hat in den vergangenen Jahren ein Wirtschaftswachstum von jährlich fünf Prozent gehabt, aber nichts davon wurde in die Krankenhäuser oder in die Ausbildung von Ärzten gesteckt“, erklärt Fernando Patiño.

Die Metropole Santa Cruz hatte in den 1990er Jahren eine Million Einwohner und fünf Hospitäler. Heute, mit drei Millionen Einwohnern, sind es immer noch dieselben fünf. Der Arzt glaubt nicht, dass Bolivien das Virus in den Griff bekommt: „Ich habe kurzfristig wenig Hoffnung. Wir haben auch zu wenig Personal, um die Quarantäneregeln zu kontrollieren.“

Die Politik beschleunigt die Corona-Pandemie

Und so gehen immer wieder Bilder von leblosen Körpern um die Welt, die – notdürftig mit Planen bedeckt – auf den Straßen oder vor den Krankenhäusern abgelegt werden. Der Corona-Ausbruch in Bolivien hat aber nicht nur mit den langjährigen Defiziten im Medizinsektor zu tun, sondern ganz wesentlich mit aktueller Politik.

„Die MAS-Partei hat die Pandemie politisiert. Sie sagten, das Virus sei eine Erfindung der rechten Übergangsregierung. Und die Menschen gingen deswegen wieder auf die Straße“, sagt Renán Estenssoro, Leiter der unabhängigen Stiftung für Journalismus in La Paz. Am Dienstag hatten tausende regierungskritische Demonstranten unter anderem gegen Mängel im Gesundheits- und Bildungswesen protestiert.

MAS steht für Movimiento al Socialismo – die Partei, die mit ihrem Präsidenten Evo Morales von 2006 bis 2019 dreizehn Jahre lang die Geschicke in Bolivien bestimmte und nun in der Opposition sitzt. Währenddessen versucht Morales, der das erste indigene Staatsoberhaupt Boliviens war, aus dem argentinischen Exil Politik zu machen. „Evo kontrolliert Bolivien immer noch über die Straße und weiß die Menschen zu mobilisieren“, erklärt Estenssoro.

Ein tief gespaltenes Land

Was damals, im Oktober und November vergangenen Jahres, bei der Präsidentschaftswahl in Bolivien geschah, dafür gibt es immer noch zwei Lesarten. Für die einen war es die Flucht eines Präsidenten, der für seine Wiederwahl die Verfassung bis zum Äußersten gebogen hatte und noch nicht einmal vor einem Wahlbetrug zurückschreckte.

Für die anderen war es nichts anderes als ein Putsch des rechten Establishments mit Beihilfe der aus den USA gesteuerten Organisation Amerikanischer Staaten.

Wie so oft in Lateinamerika schlug das Pendel dann ins andere Extrem – und spülte in Bolivien mit Jeanine Áñez eine ultrarechte Katholikin ins Amt, die auf Twitter Indigene beleidigte und als erste Amtshandlung alle Che-Guevara-Porträts im Präsidentenpalast entfernen ließ. Ursprünglich wollte die Politikerin der kleinen liberalkonservativen Partei Movimiento Demócrata Social nur bis zu den Neuwahlen im Mai 2020 Übergangspräsidentin bleiben.

Doch Áñez fand zunehmend Gefallen an der Macht – und dann kam Corona. Jetzt bleibt die Vertreterin der weißen Wirtschaftselite sogar bis zum neuen Wahltermin am 6. September – ohne demokratische Legitimation, ohne parlamentarische Mehrheit und ohne Rückhalt in der Bevölkerung. Laut Umfragen rauschten ihre Popularitätswerte in der Bevölkerung von anfangs 30 Prozent auf nunmehr sieben Prozent in den Keller.

Die an Kuriositäten reiche Entwicklung in Bolivien hat jetzt noch eine überraschende Wendung mehr genommen: Ausgerechnet Jeanine Áñez ist nach einem positiven Corona-Test in Quarantäne – mitsamt einiger ihrer Minister. „Möge Gott bei uns sein“, erklärte die bibelfeste Übergangspräsidentin, die sich wegen der Corona-Krise nun durchaus vorstellen kann, die Wahlen noch einmal zu verschieben.

Die MAS-Partei und Evo Morales haben schon angekündigt, gegen dieses Vorhaben zu protestieren. Für den Journalisten Renán Estenssoro wäre es das schlimmste denkbare Szenario: „Wenn die Wahlen noch einmal verschoben werden, werden wir nicht nur Corona-Tote haben, sondern auch wieder Gewalt auf den Straßen.“

 
 

Autor: Oliver Pieper, Deutsche Welle

Spendenaufruf – appel aux dons

Angesichts der alarmierenden und sogar katastrophalen Gesundheitssituation in vielen Städten und Regionen Boliviens, Chiles und Perus und angesichts der sozialen Lage großer Teile der Bevölkerung – kleine Gelegenheitjobs, ungelernte Arbeitskräfte, Straßenhändler – ohne soziale Sicherheit oder ein reguliertes Gesundheitssystem sind viele Menschen nach drei Monaten Ausgangssperre / Quarantäne finanziell am Boden und müssen Tag für Tag kämpfen, um die Grundbedürfnisse ihrer Angehörigen zu gewährleisten.


Aus diesem Grund richten wir diesen Spendenaufruf an Sie, um unseren Partnerverbänden bei der Unterstützung der Bedürftigsten und Schwächsten zu helfen.  


Bitte versehen Sie Ihre Spenden an unser CCPL LU75 1111 0897 7348 0000 mit dem Zusatz: „don covid-19“.

Vielen Dank für Ihr Engagement

 

Vu la situation sanitaire alarmante voir catastrophique (lire les articles précédents) dans maintes villes et régions de Bolivie, du Chili et du Pérou et vu la situation sociale d‘une grande partie de la population – petits emplois d‘occasion, travailleurs non qualifiés, commerce informel – sans sécurité sociale ni système de santé réglementé, beaucoup de gens sont, après trois mois de confinement/quarantaine, financièrement à bout et
doivent lutter au jour le jour afin d‘assurer les besoins élémentaires de leurs proches.

C‘est pourquoi nous vous adressons cet appel aux dons pour accompagner nos associations partenaires à soutenir les plus nécessiteux et les plus vulnérables.

Veuillez munir vos dons à notre CCPL LU75 1111 0897 7348 0000 de la mention „don covid-19“.

Merci pour votre engagement

Mein „abgekürztes“ Freiwilligenjahr in Tirani

von Alissa Franz

Von August 2017 bis März 2020 war Alissa Franz im Rahmen des „Service Volontaire“ des Service National de la Jeunesse als Kooperantin von Niños de la Tierra im Kindergarten „Ch’askalla“ und in der Hausaufgabenhilfe in Tirani/Cochabamba tätig. Der folgende Abschlussbericht gibt einen Überblick über ihre Arbeit und ihren Aufenthalt in Bolivien. 

Die Kinder der Hausaufgabenhilfe mit ihren BetreuerInnen

Was haben mich die Leute hierzulande mit großen Augen angeschaut, als sie hörten, dass ich mich nach der „Premiere“ nicht für den „normalen“ Weg Richtung Universität oder Ausbildung, sondern für ein anderes Abenteuer entschied.

Mitte August letzten Jahres konnte ich nämlich endlich meine Reise antreten und meinen Freiwilligendienst (unterstützt von Niños de la Tierra und dem Service National de la Jeunesse) in Tirani/Bolivien beginnen.

Blick von Tirani auf Cochabamba

Nachdem ich mich von meiner Familie und meinen Freunden verabschiedet hatte, hieß es: auf nach Cochabamba! Ich freute mich riesig auf meine kommende Zeit, aber natürlich machte ich mir dennoch meine Gedanken. Wie wird es wohl da sein? Was erwartet mich vor Ort? Werde ich mich gut zurechtfinden? Werde ich mich gut mit meinen Mitbewohnern verstehen?
Schon bei meiner Ankunft verschwanden diese Gedanken ziemlich schnell, ich hatte auch nicht wirklich Zeit, mir Sorgen zu machen, denn es war alles so überwältigend. Der viele Verkehr und Lärm von Cochabamba, die verschiedensten Gerüche, viele Leute, usw. Es war beeindruckend!

In Tirani, einem kleinen Dorf oberhalb von Cochabamba, wo sich auch das Projekt befindet, wohnte ich mit 2 andern Freiwilligen zusammen und dort arbeiteten wir auch zusammen. Wir wurden nach einer gewissen Zeit Teil dieser Dorfgemeinschaft, da jeder die Freiwilligen kennt, auch wenn wir längst nicht alle kannten. Uns war bald bewusst, dass in manchen Familien Gewalt herrscht, wir wussten Bescheid über die Alkoholprobleme der Eltern und über das schlechte Bildungs- und Gesundheitssystem. Die Kinder werden öfters vernachlässigt, deshalb ist es umso wichtiger, dass sie im Kindergarten sowie in der Hausaufgabenbetreuung ihre Kindheit ausleben können und mit viel Liebe respektiert und behandelt werden.

Morgens arbeitete ich im Kindergarten „Ch’askalla“ wo ich mit Tia Juana die Klasse mit den 2 bis 3-jährigen betreute. Mit ihr zusammen hatte ich die Chance, den Kindern viele neue Dinge beizubringen, wie zum Beispiel auf Zehenspitzen zu gehen, mit der Schere schneiden zu lernen, bis 10 zu zählen und vieles mehr. Es war eine Arbeit, die mir sehr viel Spaß machte, ich gewann schon nach ein paar Tagen das Vertrauen der kleinen Kinder, die mich immer mit einem lauten „Hallo“! empfingen, so wie auch das Vertrauen der Erzieherinnen. Die Kindergärtnerinnen sind alle aus Tirani und haben ein großes Bewusstsein, wie wichtig es ist, diese Kindergartenkinder mit der richtigen Art und Weise auszubilden und zu erziehen. Sie unterstreichen alle nochmal die Wichtigkeit dieses Projektes! Sie wissen allesamt, wie sie die Kinder unterhalten sollen, finden immer neue interessante Beschäftigungen und kümmern sich warmherzig um sie! Auch wenn nach der Schule zu Hause ihre eigenen Kindern sie erwarten, leisten sie alle eine tolle Arbeit!

Nachmittags arbeitete ich im Apoyo „Rijch’ariy“, wo ich den 8 bis 12-Jährigen bei den Hausaufgaben half. Mir kamen öfters die Hausaufgaben extrem nutzlos vor. Die Kinder mussten Zahlen von 1-500 aufschreiben oder einfach nur Texte abschreiben, aber nach einer Weile gewöhnte man sich auch daran. Man merkt, dass das Bildungssystem nicht das Beste ist. Kinder, die mittlerweile schon in der 3. Klasse sind, benutzen ihre Finger um 2 plus 2 zu rechnen und einige von ihnen haben große Schwierigkeiten beim Lernen. Ich fand es recht schwierig, bei solchen Fällen zu helfen, ich nahm jedoch jedes Mal die Herausforderung an und gab mein Bestes, um auch diesen Kindern grundlegende Sachen beizubringen. Aber nicht nur Hausaufgaben erledigten wir zusammen, wir spielten gemeinsam draußen Fußball oder Volleyball, wir kümmerten uns um unseren Garten indem wir Unkraut rupften oder wir schauten uns als Abschluss des Tages zusammen einen Film an. Die Arbeit war also sehr abwechslungsreich. Auch die Arbeit im Apoyo gefiel mir sehr! Die Kinder waren alle liebevoll, sie hatten ziemlich viel Energie und lachten oft und gerne.

In der Sommerpause waren der Kindergarten und die Hausaufgabenhilfe geschlossen, da nutzten wir Freiwillige diese Zeit, um den neuen Kindergarten in Taquina Chico (Nachbarort von Tirani) und auch unseren Apoyo mit mehr Leben zu erfüllen. Wir durften nämlich die äußeren Wände der beiden Gebäude anstreichen und mit kinderfreundlichen Bildern bemalen. Auch diese Arbeit hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich muss gestehen, ich bin sehr stolz darauf, wie die beiden Gebäude schlussendlich aussehen.

Aber auch konnte ich während dieser freien Zeit die verschiedensten Landschaften Bolivien entdecken. Im Südwesten von Bolivien entdeckte ich zum Beispiel die größte Salzwüste der Welt – Salar de Uyuni – , im Tiefland von Bolivien, in Rurrenabaque befand ich mich mitten in den großen Regenwäldern, in den Anden bestaunte ich den höchstgelegenen See der Welt – Titicacasee – und in La Paz blieb mir nach paar Schritten auf 3.600 m Höhe die Luft weg. In Bolivien kann man einiges entdecken und die verschiedensten Landschaften sehen.

Meine Reisen in die beiden Nachbarländer (Peru und Chile) zeigten mir wie sehr die indigene Kultur noch in Bolivien vorhanden ist. Ebenso ist mir aufgefallen, dass das Land seinen Nachbarländern in seiner Entwicklung hinterherhinkt. Das Projekt in Tirani hat mir bewiesen, dass die Entwicklungshilfen enorm wichtig sind und den Einwohnern Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben. Eine Entwicklungshilfe, in der auch die Einheimischen Hoffnung und Mut gewinnen und sich bemühen und mitarbeiten. Die Arbeitsgruppe in Tirani leistet eine ausgezeichnete Arbeit und ich bin froh, für eine gewisse Zeit dabei gewesen zu sein!
Ich freute mich schon riesig auf die nächsten Monate, die Erzieherinnen und wir die Freiwilligen hatten schon einiges geplant. „Día de la Familia“ und noch weitere Feste sollten groß zusammen gefeiert werden, im Kindergarten hätte ich mit älteren Kindern zusammengearbeitet, was mir erlaubt hätte, etwas anspruchsvollere Aktivitäten mit ihnen machen zu können, nur leider kam es anders. Durch die aktuelle Situation, die Covid-19-Pandemie musste ich meinen Freiwilligendienst frühzeitig beenden und nach Hause fliegen.

 

Mittlerweile sitze ich schon seit 6 Wochen mit tollen Erfahrungen und unvergesslichen Erlebnissen hier zu Hause und kann gar nicht mehr aufhören von meiner 8-monatigen Zeit in Bolivien zu schwärmen. Etwas steht fest: Ich fliege definitiv nochmal zurück, um meine bolivianischen Freunde wiedersehen zu können und „meine“ Kinder aus Tirani wieder in die Arme schließen zu können!!

Es war eine Zeit, die ich nie vergessen werde und für die ich sehr dankbar bin!

Salar de Uyuni

Die Auswirkungen der Corona-Krise in Südamerika

Une version française du présent article est disponible ici (Info 2-20)

Wir haben in den ersten Monaten der Pandemie unsere Partner in Bolivien, Chile und Peru gefragt, wie sich die Gesundheitskrise in ihrem Land entwickelt und welche Auswirkungen sie auf das Alltagsleben hat. Hier nun, stellvertredend für alle, 3 dieser Berichte:

Situation in Cochabamba / Bolivien

von Rodrigo Aramayo Mercado, ANAWIN                                                               05.05.2020

Das Sozial- und Gesundheitssystem in Bolivien ist nicht in der Lage, sich mit der Intensität der COVID-19-Krise auseinanderzusetzen. Es verfügt weder über eine Strategie noch über Humanressourcen oder eine angemessene Infrastruktur.

Aus diesem Grund hat die Regierung eine nationale Quarantäne verhängt, die die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und sozialen Aktivitäten des Landes fast vollständig lahmgelegt hat.

Die Maßnahmen der derzeitigen Übergangsregierung zielen jedoch nicht nur auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit ab, sondern sind auch ein Instrument der politischen Zensur. Es ist in der Tat eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung während eines von der globalen Pandemie blockierten Wahlprozesses.

Offiziell gab es Anfang Mai nur 1.802 bestätigte Infizierte von COVID-19 in Bolivien mit insgesamt 11.501.900 Einwohnern. Da nur 117 Tests pro Tag durchgeführt werden, wird diese Zahl, die von der Regierung als Eindämmungsmodell propagiert wird, von Experten ernsthaft in Frage gestellt, die schätzen, dass die Zahl der Betroffenen viel höher ist.

Angesichts der durch die Quarantäne auferlegten Beschränkungen organisierten sich die indigenen Gemeinschaften und griffen auf den Tauschhandel mit Lebensmitteln zurück, eine alte vorspanische Praxis. Dieser Geist des Zusammenhalts sowie die Gewohnheit der autarken Produktion ermöglichten es den Gemeinden, die Probleme der Nahrungsmittelversorgung mehr oder weniger zu lösen, trotz der unzureichenden finanziellen Hilfe der Regierung, die 70 USD pro Familie nicht übersteigt.

Es sind die Migrantengemeinschaften in den Ballungsräumen, Zonen mit vorwiegend armen Familien, die am stärksten unter den Folgen der Quarantäne leiden. Diese Menschen können nicht mehr das Geld verdienen, das sie für ihren täglichen Lebensunterhalt benötigen. In Gemeinden wie Korihuma, einem Stadtteil am Rande der Gemeinde Sacaba, arbeitet etwa 65% der aktiven Bevölkerung zwischen 18 und 60 Jahren in Haushalten, beim Bau oder betreiben Strassenverkauf oder bekleiden anderer informelle Arbeitsplätze. Fast alle mussten ihre Aktivitäten während der Quarantäne einstellen. Zu Hause zu bleiben, bedeutet für diese Menschen, nicht mehr zu wissen, wie man überlebt. Die überwiegende Mehrheit dieser schutzbedürftigen Haushalte erhält keine staatlichen Beihilfen und ist vollständig vom Schock und den Folgen der Pandemie betroffen.

Unter den Gemeinden, die in den oberen Regionen des Departements Cochabamba leben, arbeiten Kleinbauern trotz der Einschränkungen weiter in ihren Parzellen. Es ist die Zeit der Kartoffelernte und diese Aktivität trägt zur Produktion von Lebensmitteln für die Städte bei.

ANAWIN setzt führt seine Projektaktivitäten weiter,  mit den durch die Quarantäne bedingten  Einschränkungen. In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden erhebliche Fortschritte bei der Verbesserung der Ernährungssouveränität in Montecillo und Chapisirca erzielt. Es gab Organisations- und Schulungsarbeiten für die Vorbereitung von Terrassen, Kleingärten, Gewächshäusern und von Gehegen für das Vieh. Diese Vorbereitungen und die ständige Unterstützung der ANAWIN-Techniker ermöglichten es, den Begünstigten des Projekts, die Produktion von Gemüse und die Installation von Obstgärten fortzusetzen.

Die Betreuung durch die ANAWIN-Techniker geschieht telefonisch und über soziale Medien. Die geplanten Aktivitäten sollten je nach landwirtschaftlichem Zyklus verschoben werden. Der Kalender für diese Aktivitäten muss daher neu geplant werden. Das ANAWIN-Team hat sich in der Zwischenzeit auf die Erstellung alternativer Bildungs- und Schulungsmaterialien wie Handbücher, Broschüren und Lernspiele konzentriert.

Bei der Wiederaufnahme der Aktivitäten nach der Quarantäne sind gezielte Maßnahmen unerlässlich, um die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen (insbesondere Wasser und Boden), den Erhalt der biologischen Vielfalt und die Stärkung der Lebensmittelversorgung in ländlichen und städtischen Gebieten quer durchs Land zu gewährleisten.

Situation in Temuco / Chile

von Roberto Mansilla, FUNDECAM                                                                         10.05.2020

Die Region Araukarien war eine der am stärksten vom Coronavirus betroffenen Regionen und war zu einer Zeit die Region mit der höchsten Infektionsrate im Land im Verhältnis zur Bevölkerung. Die Gemeinde Temuco gehört zu den am stärksten infizierten Gemeinden.

Glücklicherweise gibt es keine neuen Ausbrüche und ein etwas kontrolliertes Wachstum wurde beibehalten. Wieder einmal ist klar geworden, wer, wie in diesem Fall, die Kosten für Umwelt-, Sozial-, Wirtschafts- und Gesundheitsrisiken trägt. Heutzutage hat insbesondere in der Metropolregion Santiago die Zahl der Infektionen merklich zugenommen, was zu einer fast vollständigen Quarantäne geführt hat. Und dieser Anstieg ist in den am stärksten gefährdeten Gemeinden und Stadtteilen am größten, in denen eine Quarantäne nicht praktikabel ist aufgrund der Überbevölkerung und der Schwierigkeiten bei der Deckung der Grundbedürfnisse, die diese Bevölkerung dazu zwingen, nach täglichen Ressourcen zum Überleben zu suchen.

In diesem Sinne ist die aktuelle Botschaft der Regierung widersprüchlich, da sie der Rettung der Wirtschaft eine größere Bedeutung beimisst als der des Gesundheitssektors. Es gibt offensichtliche Anstrengungen, Einkaufszentren zu eröffnen und die industrielle Aktivität wieder aufzunehmen, sowie ein unverständliches Interesse, die Kinder wieder in ihre Schulen zu holen.

Die vor wenigen Tagen auferlegte totale Quarantäne führte dazu, dass wir die Aktivitäten von FUNDECAM auf unbestimmte Zeit einstellten, insbesondere diejenigen, die Fahrten zu  und Kontakt mit den Mapuche-Gemeinschaften beinhalten. Es ist uns gelungen, die Gemeinden von Vilcún, die Teil unseres Projekts sind, zu kontaktieren, um die Mechanismen festzulegen, die unter diesen Umständen eingesetzt werden können.

Die Gemeinschaften hatten bereits bestimmte Garantien festgelegt, um eine Kontamination zu vermeiden, was Einschränkungen beim Zugang zu ihrem Hoheitsgebiet implizierte. Infolgedessen baten sie uns, nur telefonisch zu kommunizieren.

Wir haben diese Entscheidung voll und ganz respektiert und geteilt. Die Telefonberichte, die wir regelmäßig durchführen, zeigen uns, dass es bis heute dort keine größeren Schwierigkeiten gibt, selbst wenn sich eine erhebliche Anzahl infizierter Personen in der Gemeinde befindet. Die Gemeinden sagen uns, dass sie gewisse Vorteile haben, weil sie für bestimmte Lebensmittel mit ihrer kleinen Produktion autark sind und so das Einkaufen in städtischen Zentren vermeiden.

Im Fall des Kindergartens in Vilcún richtet sich die Situation nach den Bestimmungen der Schulbehörde, die über die vollständige Schließung der Schulen entscheidet. An bestimmten Tagen werden nur einige grundlegenden Aktivitäten wie die Lieferung von Lebensmitteln für Kinder, die im Kindergarten eingeschrieben sind, aufrechterhalten. Dieses Essen wird in Form von Rationen pro Kind geliefert, die die Eltern in der Schule abholen müssen, die erst an den Liefertagen des Essens geöffnet wird.

Auf der pädagogischen Seite bereiten die Lehrkräfte Hilfsmaterialien für die Kinder zu Hause vor und verteilen sie, um mit ihnen und ihren Familien in Kontakt zu bleiben.

Die gleiche Vorgehensweise gilt auch für die Trañi Trañi-Schule, mit dem Unterschied, dass die Schule Lebensmittel und Bildungsmaterialien zum Wohnort der Schüler liefert. Dies aus Rücksicht auf die weit verstreute Lage ihrer Häuser.

Die Regierung ist bestrebt, diese Einstellung der Aktivitäten zu beenden, um Anzeichen für eine Rückkehr zur Normalität zu zeigen. Dies führt zu einer Haltung hoher Ablehnung bei den Eltern, da dies als großes Risiko für die Kleinen und ihre Familien angesehen wird.

In Bezug auf die Situation des FUNDECAM-Arbeitsteams haben wir eine angemessene Koordinierung erreicht, um sowohl auf die Gemeinden als auch auf die Anforderungen der öffentlichen Dienste zu reagieren. In diesem Zustand behalten wir die Aktivitäten bei, die sowohl Schulen als auch Kindergärten zugewiesen wurden.

Abschließend möchten wir uns bei Ihnen für Ihre Besorgnis bedanken und Sie herzlich umarmen, in der Hoffnung, dass diese gesundheitliche Komplikation Sie nicht betroffen hat und wir diesen Weg der Zusammenarbeit und Solidarität fortsetzen, den wir seit so vielen Jahren verfolgen.

Lage in Cusco / Peru

von Ana-Maria Galiano Gutierrez, FUNDACIÓN CRISTO VIVE PERÚ   05.04.2020

Hier in Cusco müssen die meisten Menschen die seit dem 15. März von der Regierung ergriffenen vorbeugenden Maßnahmen, SOZIALISOLIERUNG + HÄNDEWASCHEN + QUARANTÄNEBESTIMMUNG, einhalten. Polizei und Armee kontrollieren die Straßen und öffentlichen Plätze… alles ist eingeschränkt. Es gibt immer noch Menschen, die sich verantwortungslos verhalten und infolgedessen hat die Armee jetzt den Befehl, ungehorsame Menschen zu erschießen … Nun, wir Frauen, wir können nur von Dienstag bis Donnerstag und samstags ausgehen, Männer von Montag bis Mittwoch und freitags, um Lebensmittel oder Medikamente zu kaufen – HEUTE, PALMSONNTAG, IST ES UNS VERBOTEN, DIE HÄUSER ZU VERLASSEN. Jeden Tag ab 18 Uhr herrscht völliger Stillstand aller Aktivitäten, in anderen Städten bereits ab 16 Uhr. Gegen diejenigen, die diese Maßnahmen nicht einhalten, wurden Sanktionen verhängt. Dies ist der einzige Weg, um den Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems zu vermeiden und die Todesfälle durch Covid-19 zu minimieren. Diese Maßnahmen sind bis zum 13. April streng. Wir wissen nicht, was als nächstes passieren wird. Die getroffenen Entscheidungen basieren auf den statistischen Ergebnissen, die an diesem Datum vorgelegt werden (…).

Projektreise CHILE & BOLIVIEN

Februar 2020

von Marco Hoffmann

Unsere Projektreise 2020 fand vom Samstag 1. Februar bis Sonntag 16. Februar statt. Über den Ozean sind Claude Schweich und ich selbst mit Air France geflogen, 14 Stunden Paris – Santiago de Chile. Von Santiago ging es sonntags gleich weiter nach Temuco zu FUNDECAM, der ersten von vier Partnerorganisationen, die wir während unserer Reise begegnen wollten.

Tag 2 – 02/02/2020: Temuco
– Willkommenstreffen um 17:00 Uhr in den Büroräumen von FUNDECAM, mit Roberto Mansilla (Geschäftsführer), Lorena (Präsidentin), Gonzalo (Vorstandsmitglied) und Pricilla (Sekretärin).
Temuco ist zugenagelt. Die Erdgeschosse und Vitrinen in den Einkaufsstraßen sind mit Holz- oder Blechverkleidungen verbarrikadiert. Gerade am Sonntag, bei unserer Ankunft, sind sehr wenig Leute in den Straßen. Die 300 000 Einwohner-Stadt ist wie tot und wir haben Mühe, am Abend ein offenes Restaurant zu finden.

TAG 3 – 03/02/2020: Temuco
– am Morgen: Besuch der Mapuche-Gemeinschaften Juan Acuite und Juan Secundo Marilun de Vilcun
Die Frauen zeigen uns ihre Handarbeiten, Stickereien, Malereien, Töpfereien sowie Tapenaden aus lokalen Pflanzen und Pimenten. Alle Aktivitäten erlauben es, die Produkte zu verkaufen und ein kleines Einkommen zu sichern. Einige Frauen sind Imkerinnen und verkaufen ihren Honig. Bei einem Austausch mit Mapuche-Gemeinschaften in Argentinien haben sie sich das notwendige Know-how angeeignet. Ein Teil der Gewinne wird auf ein Gemeinschaftskonto eingezahlt und dient dazu, neue Mikrokredite zu gewähren.
Die Leute waren am Anfang sehr skeptisch, was das Projekt betrifft, sagen uns aber in der Versammlung, dass sie noch heute überrascht sind, wie positiv sich das Ganze entwickelt hat. Sie freuen sich, uns kennenzulernen und der Lonqo, der Chef der Gemeinschaft, hebt hervor, dass noch nie jemand sie besucht hat und auch sonst kaum einer sich für sie interessiert. Die exzellente Arbeit von FUNDECAM im Rahmen unseres Projektes und unserer Finanzierung hat sich wieder bestätigt und die Dankbarkeit der Leute ist groß und nicht gespielt.

– am Nachmittag: Besuch der Gemeinschaften José Miguel Borne und Juan Carriman de Vilcun
Wir können wiederum feststellen, wie eng unsere Partnerorganisation FUNDECAM mit den Gemeinschaften verbunden ist. Der Austausch findet auf Augenhöhe statt und die Leute legen zum Teil sehr emotionale Zeugnisse ab. Der Präsident der Junta de Vecinos berichtet auch vom gemeinsamen Bankkonto der Gemeinschaft und wie somit immer mehr Leute vom kooperativen System profitieren können. Dieses System ist die Weiterentwicklung des „fondo rotatorio“, der über das Niti-Projekt finanziert wurde (quasi ein Mikrokredit mit Anschubsfinanzierung, der ausschließlich der Verbesserung der Produktion zu dienen hat und nur zur Hälfte zurückgezahlt werden muss). Ein gutes Beispiel nachhaltiger Entwicklung!

Eine Frau lädt uns zu sich nach Hause ein. Sie und ihr Mann haben einige Jahre in Santiago in diskriminierenden Verhältnissen arbeiten und leben müssen. Sie ist heute stolz, Mapuche zu sein und als Imkerin kann sie einen Teil des Haushaltseinkommens bestreiten. Daneben betreibt sie noch einen kleinen Dorfladen. Sie und ihr Mann haben eine Ruka, einen traditionellen Versammlungsraum, für die Gemeinschaft gebaut.
Zum Schluss noch eine Überraschung, als ihr Mann, am Ausgang des Gebietes der Gemeinschaft, auf uns wartet, um uns kennenzulernen und noch einen Topf Honig zu schenken.

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