Projektreise CHILE & BOLIVIEN

Februar 2020

von Marco Hoffmann

Unsere Projektreise 2020 fand vom Samstag 1. Februar bis Sonntag 16. Februar statt. Über den Ozean sind Claude Schweich und ich selbst mit Air France geflogen, 14 Stunden Paris – Santiago de Chile. Von Santiago ging es sonntags gleich weiter nach Temuco zu FUNDECAM, der ersten von vier Partnerorganisationen, die wir während unserer Reise begegnen wollten.

Tag 2 – 02/02/2020: Temuco
– Willkommenstreffen um 17:00 Uhr in den Büroräumen von FUNDECAM, mit Roberto Mansilla (Geschäftsführer), Lorena (Präsidentin), Gonzalo (Vorstandsmitglied) und Pricilla (Sekretärin).
Temuco ist zugenagelt. Die Erdgeschosse und Vitrinen in den Einkaufsstraßen sind mit Holz- oder Blechverkleidungen verbarrikadiert. Gerade am Sonntag, bei unserer Ankunft, sind sehr wenig Leute in den Straßen. Die 300 000 Einwohner-Stadt ist wie tot und wir haben Mühe, am Abend ein offenes Restaurant zu finden.

TAG 3 – 03/02/2020: Temuco
– am Morgen: Besuch der Mapuche-Gemeinschaften Juan Acuite und Juan Secundo Marilun de Vilcun
Die Frauen zeigen uns ihre Handarbeiten, Stickereien, Malereien, Töpfereien sowie Tapenaden aus lokalen Pflanzen und Pimenten. Alle Aktivitäten erlauben es, die Produkte zu verkaufen und ein kleines Einkommen zu sichern. Einige Frauen sind Imkerinnen und verkaufen ihren Honig. Bei einem Austausch mit Mapuche-Gemeinschaften in Argentinien haben sie sich das notwendige Know-how angeeignet. Ein Teil der Gewinne wird auf ein Gemeinschaftskonto eingezahlt und dient dazu, neue Mikrokredite zu gewähren.
Die Leute waren am Anfang sehr skeptisch, was das Projekt betrifft, sagen uns aber in der Versammlung, dass sie noch heute überrascht sind, wie positiv sich das Ganze entwickelt hat. Sie freuen sich, uns kennenzulernen und der Lonqo, der Chef der Gemeinschaft, hebt hervor, dass noch nie jemand sie besucht hat und auch sonst kaum einer sich für sie interessiert. Die exzellente Arbeit von FUNDECAM im Rahmen unseres Projektes und unserer Finanzierung hat sich wieder bestätigt und die Dankbarkeit der Leute ist groß und nicht gespielt.

– am Nachmittag: Besuch der Gemeinschaften José Miguel Borne und Juan Carriman de Vilcun
Wir können wiederum feststellen, wie eng unsere Partnerorganisation FUNDECAM mit den Gemeinschaften verbunden ist. Der Austausch findet auf Augenhöhe statt und die Leute legen zum Teil sehr emotionale Zeugnisse ab. Der Präsident der Junta de Vecinos berichtet auch vom gemeinsamen Bankkonto der Gemeinschaft und wie somit immer mehr Leute vom kooperativen System profitieren können. Dieses System ist die Weiterentwicklung des „fondo rotatorio“, der über das Niti-Projekt finanziert wurde (quasi ein Mikrokredit mit Anschubsfinanzierung, der ausschließlich der Verbesserung der Produktion zu dienen hat und nur zur Hälfte zurückgezahlt werden muss). Ein gutes Beispiel nachhaltiger Entwicklung!

Eine Frau lädt uns zu sich nach Hause ein. Sie und ihr Mann haben einige Jahre in Santiago in diskriminierenden Verhältnissen arbeiten und leben müssen. Sie ist heute stolz, Mapuche zu sein und als Imkerin kann sie einen Teil des Haushaltseinkommens bestreiten. Daneben betreibt sie noch einen kleinen Dorfladen. Sie und ihr Mann haben eine Ruka, einen traditionellen Versammlungsraum, für die Gemeinschaft gebaut.
Zum Schluss noch eine Überraschung, als ihr Mann, am Ausgang des Gebietes der Gemeinschaft, auf uns wartet, um uns kennenzulernen und noch einen Topf Honig zu schenken.

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Chile: Kongress beschließt Geschlechterparität für verfassungsgebende Versammlung

Von Analena Bachmann
amerika21

Der chilenische Kongress hat für eine Gender Parität
bei einer möglichen Verfassungsgebenden Versammlung gestimmt
Quelle: pl

Santiago: 11.03.2020. Der chilenische Kongress hat sich für eine Geschlechterparität bei der möglichen verfassungsgebenden Versammlung entschieden. Am 26. April stimmen die Chileninnen und Chilenen in einem Plebiszit darüber ab, ob eine neue Verfassung ausgearbeitet werden soll. Spricht sich das Volk dafür aus, so wird das verfassungsgebende Organ aufgrund des Beschlusses zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen bestehen. Damit wäre die chilenische Verfassung die erste Verfassung weltweit, an der Frauen und Männer zu gleichen Teilen beteiligt waren.
In der Abgeordnetenkammer stimmten 98 Abgeordnete für den Entwurf, drei dagegen und 52 enthielten sich. Später im Senat stimmten 27 dafür, sieben dagegen und vier enthielten sich. Damit wurde auch beschlossen, dass eine Korrektur in Distrikten notwendig ist, in welchen kein Gleichgewicht von Frauen und Männern erreicht wird. Ist in einem Distrikt eine der beiden Gruppen in der Überzahl, so werden die gewählten Kandidatinnen oder Kandidaten dieser Gruppe, die die wenigsten Stimmen haben, für Bewerber oder Bewerberinnen der anderen Gruppe ersetzt.
Loreto Carvajal von der Partei für Demokratie sagte über den Entschluss: „Heute hallte es von den Kolleginnen und Kollegen des Parlaments zurück, dass die zukünftige chilenische Konstitution auch mit Frauen geschrieben werden soll.“ Schon im vergangenen Dezember wurde über diesen Vorschlag, der von der Opposition eingereicht wurde, abgestimmt. Damals erreichte weder dieser Entwurf noch der der Regierung im Senat die notwendige Mehrheit.
Eine neue Verfassung ist eine der lautesten Forderungen der Demonstrierenden, die seit Mitte Oktober letzten Jahres gegen soziale Ungerechtigkeit auf die Straßen gehen. Mit einer neuen Konstitution soll das Erbe der Diktatur unter Augusto Pinochet (1973 – 1990), aus der die derzeitige Verfassung stammt, abgelöst werden. Angefangen hatten die Proteste aufgrund einer Preiserhöhung der Fahrkarten für den Öffentlichen Verkehr. Die Konflikte zwischen Demonstrierernden und Staatsgewalt haben bisher 31 Todesopfer gefordert.

Generalversammlung abgesagt

Liebe Freunde und Unterstützer von NIÑOS DE LA TIERRA ehm. Chiles Kinder:

Der Vorstand von Niños de la Tierra asbl. sieht sich leider gezwungen – in Folge der Coronavirus-Epidemie – die ordentliche

Generalversammlung,

welche für Donnerstag, den 26. März 2020 in Bettemburg vorgesehen war

auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen.

Assemblée Générale annulée

Chers amis et sympathisants de NIÑOS DE LA TIERRA anc. Chiles Kinder:

A la suite de la pandémie COVID-19 le Conseil d’Administration de Niños de la Tierra asbl. est au regret de devoir annuler son

Assemblée Générale ordinaire 2020

prévue pour jeudi, 26 mars 2020 à Bettembourg

et de la reporter à une date ultérieure.

Polizeigewalt in Chile lässt nicht nach

Granaten auf die Köpfe:

Gummigeschosse darf Chiles Polizei kaum mehr einsetzen. Jetzt zielt sie mit Tränengasgranaten direkt auf die Protestierenden. Ein Mensch stirbt.

In Chiles Hauptstadt Santiago am Mittwoch: Ein verletzter Demonstrant wird von Sanitätern behandelt 11.03.2020. Foto: REUTERS/Pablo Sanhueza

SANTIAGO DE CHILE taz |

Die DemonstrantInnen am Plaza Italia, den sie auf Plaza Dignidad (Platz der Würde) umgetauft haben, tragen mittlerweile nicht mehr nur eine Gasmaske und eine Schutzbrille, sondern auch einen Helm beim Protest. Der Einsatz von Gummigeschossen durch die Polizei wurde zwar eingeschränkt, nachdem innerhalb weniger Monate hunderten Menschen in die Augen geschossen wurde. Dafür schießen die Carabineros jetzt aber mit Tränengasgranaten auf die Körper und vor allem die Köpfe und Gesichter der Protestierenden.
Der 48-jährige Cristián Valdebenito ist das erste Todesopfer, das die Tränengasgranaten der Polizei verursacht haben. Er protestierte am vergangenen Freitag am Plaza Dignidad, als er von einer Granate am Kopf getroffen wurde. Anschließend behandelten ihn freiwillige Ersthelfer*innen und brachten ihn mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma in die Notaufnahme des naheliegenden Krankenhauses. Am Samstagmorgen starb er an den schweren Verletzungen.

Beim selben Protest wurden neun weitere Personen durch Tränengasgranaten verletzt, drei erlitten Augenverletzungen. Einer von ihnen ist der 24-jährige Dante Davagnino, der von einer Granate im Gesicht getroffen wurde und jetzt auf einem Auge blind ist. Er studiert Musik an der Universidad Academia Humanismo Cristiano, die auch der 22-jährige Gustavo Gatica besuchte, der im November komplett erblindete, nachdem ein Polizist ihm mit Gummigeschossen in beide Augen schoss.
„Es ist ungeheuerlich, dass wir erneut Zeugen einer Situation von maßloser Polizeigewalt werden, der die Jugendlichen zu Opfer fallen. Es handelt sich um eine systematische und illegale Aktion in einem Kontext der Straflosigkeit, die die Gewalt durch den Staat seit dem 18. Oktober charakterisiert“, sagte der Rektor der Universität Álvaro Ramis, nachdem der Fall von Davagnino bekannt wurde.
Gehirnerschütterungen und Knochenbrüche
Das Nationale Institut für Menschenrechte (INDH) erklärte: „Wir verurteilen und bedauern den Todesfall und die neuen Fälle von Augenverletzungen, die uns zwingen, die Polizeikräfte daran zu erinnern, dass der Einsatz von Gewalt proportional sein und die internationalen Menschrechtsstandards respektieren muss.“
Dem INDH zufolge wurden bisher 271 Personen durch Tränengasgranaten verletzt, die Zahl sei in den letzten Wochen stark angestiegen. Beim Aufprall auf dem Körper können die Granaten nicht nur schwere Verbrennungen und Verätzungen, sondern auch Gehirnerschütterungen und Knochenbrüche verursachen, abgesehen von Atemwegserkrankungen und Hautkrankheiten durch das Gas. „Die Tränengasbomben sollten das letzte Mittel sein, dass die Polizei einsetzt, nicht das erste. Es ist unverantwortlich, diese chemische Waffe willkürlich einzusetzen“, heißt es in einem Bericht der Fakultät für Chemie der Universidad de Santiago.
Zugenommen haben auch die Fälle von Prügelattacken durch Polizist*innen. Auch Journalist*innen, MenschenrechtsbeobachterInnen und ErsthelferInnen werden immer wieder angegriffen.

Am vergangenen Sonntag wurde der 69-jährige Patricio Bao während der Proteste zum Weltfrauentag von einer Gruppe Polizist*innen mit Schlagstöcken brutal verprügelt. Der Fall wurde durch ein Video sofort auf sozialen Netzwerken verbreitet. „Die Polizisten handeln maßlos und ohne jegliche Kriterien. Niemand sagt ihnen, dass ihre Vorgehensweise schlecht ist. Als ich versucht habe, aufzustehen, haben sie grundlos weiter auf mich eingeschlagen“, sagte Bao anschließend in einem Interview im Nationalfernsehen TVN.
Innenminister Gónzalo Blumel sagte zu der Prügelattacke: „Es handelt sich um eine Aktion der Polizei, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen.“
Obwohl Organisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte sowie die Vereinten Nationen bereits mehrfach auf die Verletzung der Menschenrechte durch die Polizei in Chile aufmerksam gemacht haben, streitet die Regierung ihre Verantwortung ab und spricht von Einzelfällen.
Abgeordnete der Opposition planen deshalb eine Verfassungsklage gegen den Innenminister Blumel. Eine Gruppe von Senatoren arbeitet an einem Bericht, um Piñeras Amtsenthebung wegen „körperlicher und geistiger Unfähigkeit“ zu fordern.

Frauenproteste in Chile

WOZ die Wochenzeitung


Von der Schülerin bis zur Seniorin: Weit über eine Million Frauen protestierten in Chile rund um den Internationalen Frauentag gegen Gewalt, tiefe Renten und die Regierung. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte einer riesigen Bewegung.
Von Toni Keppeler, Santiago de Chile

«Ich will nicht, dass sie aus meinem Kind eine Prinzessin machen»: An der Demonstration zum Frauentag in Santiago de Chile. Foto: Fernando Lavoz, Getty

Es war ein gewaltiger Auflauf von Frauen: Er füllte die Avenida Bernardo O’Higgins, die achtspurige zentrale Verkehrsachse von Santiago de Chile, über mehr als vier Kilometer. Auch die Seitenstrassen waren so verstopft, dass kaum ein Durchkommen war. An der lauten und kämpferischen Demonstration waren viele chilenische Flaggen zu sehen, aber auch die der Ureinwohner der Mapuche, die seit über 200 Jahren im Widerstand gegen die Regierung stehen.
Vor dem Präsidentenpalast La Moneda und auf der Höhe des Bankenviertels kam es am Rand des Zuges zu Strassenschlachten. Steine und Flaschen flogen in Richtung der Wasserwerfer und der hinter Gittern und Schildern verschanzten Carabineros, der paramilitärischen Polizei. Die setzten nicht nur Wasserwerfer ein, sondern feuerten auch Tränengasgranaten in die Menge. Wäre Panik ausgebrochen, hätte es Dutzende Tote geben können. Doch die Demonstrantinnen blieben gefasst. Seit Mitte Oktober dauern die Proteste gegen Präsident Sebastián Piñera, die Repression und das neoliberale Wirtschaftsmodell an. Szenen wie die vor der Moneda gehören seither zum Alltag.
Mit oder ohne Klamotten
Zwei Millionen Frauen sollen am 8. März allein in Santiago de Chile auf der Strasse gewesen sein, gab das Koordinationskomitee am Abend bekannt. Aus den Provinzstädten wurden weitere Massendemonstrationen gemeldet. Die Carabineros behaupteten, es seien in Santiago gerade einmal 150 000 Frauen gewesen. Eine persönliche Schätzung auf der Basis der Auszählung einzelner Blocks ergab, dass es bestimmt weit über eine Million waren: von Schülerinnen bis hin zu Seniorinnen, die sich auf einen Stock stützen mussten. Viele Demonstrantinnen trugen nur einen BH zur Hose oder zum Rock, etliche hatten sich den Körper mit Parolen bemalt: «Ob mit oder ohne Klamotten, mein Körper gehört mir.»
Transparente waren nur wenige zu sehen, auch gab es keine Abschlusskundgebung mit Reden. Die neue soziale Bewegung Chiles ist spontan und hat keine erkennbaren Figuren an der Spitze. Auch so sind die Forderungen klar: freie Abtreibung, ein Ende der Morde an Frauen und der Rücktritt des Präsidenten. Eine der am häufigsten gerufenen Parolen: «Piñera soll sterben, nicht meine Freundin».
Auch in Buenos Aires, in Mexiko-Stadt, in Bogotá und in vielen anderen Städten Lateinamerikas gingen die Frauen am 8. März zu Hunderttausenden auf die Strasse. In Chile, Argentinien und Mexiko wurde für den 9. März zudem zu einem Frauenstreiktag aufgerufen.
Die neue Frauenbewegung Lateinamerikas begann 2015, erklärt Alondra Carrillo, Sprecherin von Coordinadora 8M, im Gespräch. Damals protestierten in Buenos Aires Zehntausende Frauen mit der Parole «Ni una menos» («Keine Einzige weniger») gegen die Masse von Morden an Frauen. Jeden Tag werden in Lateinamerika zwölf Frauen umgebracht, in Chile mit seinen knapp achtzehn Millionen EinwohnerInnen jeden dritten Tag eine. Bis heute ist ein Ende dieser Femizide eine zentrale Forderung der Demonstrationen am Internationalen Frauentag.